Thursday 31 August 2006

Stephen King - It

Alle vier Jahre nehme ich es in die Hand, das beinahe pervers rote Buch, welches sogar Tolkiens "Herr der Ringe" an Dicke übertrifft, ohne jemals dessen inhaltliche Längen zu besitzen. Stephen King ist einer der Schriftsteller, die so gerne nicht ernst genommen werden, nur dass er das im Gegensatz zu John Grisham und dem unheilvollen Erfinder der spekulativen Religionswissenschaften nicht verdient hat. Ich sage dies in dem Bewusstsein, dass Stephen King selbst niemals ein Camus oder ein Steinbeck sein wollte – er sagt dies explizit in "Es", meiner Meinung nach seinem besten Buch. Der Charakter, der ihm selbst nachempfunden ist, der Schriftsteller Bill Denbrough, besucht im College einen Kurs für kreatives Schreiben, in dem seine Horrorgeschichten nicht gut ankommen, und nach einem Vortrag darüber, dass ein Buch manchmal einfach ein Buch ist, keine politische Abhandlung, verdirbt er es sich endgültig mit seinen intellektuellen Kollegen und Professoren. Aber schließlich ist er es, der von seinen Horrorgeschichten überleben kann.

In den oben beschrieben Kreisen war es um 2000 herum en vogue, zu sagen, "Das Mädchen" sei Kings bester Roman, da darin eigentlich kein wirklicher Horror vorkommt, keine Monster, nichts Übernatürliches, sondern das Schreckliche aus dem Inneren der Menschen entsteht. King nur dann ernst zu nehmen, wenn er sein eigenes Genre verlässt, ist eine altbekannte Unart, die auch "Dolores" zu einem "besseren" Film kürte als andere Werke. Doch "Es" war der erste King den ich jemals gelesen habe, ich war damals 11, was wahrscheinlich in den Augen vieler zu jung gewesen sein mag, aber danach konnte ich nicht aufhören, seine Romane zu verschlingen. Das faszinierendste an ihnen ist immer noch, dass sie elendig lang sind, und trotzdem schneller und einfacher zu lesen sind, als ein 350-Seiten Werk von so manch anderem Schriftsteller. Diese inhaltliche Dichte, die unglaubliche Spannung, kann kaum ein anderer Schriftsteller erzeugen, ohne dem Leser das Gefühl zu geben, dumm zu sein, und dumm fühlt man sich wahrlich bei keinem von Kings Romanen. Nachdem ich "Es" nun bereits das dritte Mal gelesen habe, diesmal wahrscheinlich konzentrierter und analytischer als 1998 und 2002, habe ich das Gefühl, als sei Alles darin enthalten, das gesamte Leben. Dieses Gefühl ist unheimlich, denn eigentlich sollte ich es aus anderen Büchern bekommen. Tatsächlich ist dies aber die Quelle von Allem, die Erklärung für Alles.

Es ist 1958. Derry, eine Kleinstadt im Bundesstaat Maine, wird von einer geheimnisvollen Kraft heimgesucht, die man kurz als das Ur-Böse bezeichnen könnte. Es tritt in Gestalt eines Clowns namens Pennywise auf, kann jede beliebige Gestalt annehmen, und tötet Kinder, da Erwachsenen die entscheidende Fähigkeit fehlt, Pennywise als das wahrzunehmen, was er ist. Es ist nicht das Erste Mal, dass Pennywise in Derry mordend umgeht, tatsächlich existiert er schon so lange, wie es überhaupt Menschen gibt, und tritt in regelmäßigen Zyklen ungefähr alle 27 Jahre in Aktion, um eineinhalb Jahre lang zu wüten. Nicht nur tötet er selbst, er verändert auch die Stadt und die Menschen, die darin wohnen – aus der Geschichte Derrys erfahren wir, dass die wirklichen Schlimmen Ereignisse, bei denen viele Menschen auf einmal starben, nicht unbedingt von Pennywise ausgelöst, sondern lediglich unterstützt wurden. In den Dreißigern brannte die "League for White Decency" (der Nordstaaten-Equivalent für den Ku-Klux Klan) ein Lokal für Afroamerikanische Soldaten nieder, später brachte die gesamte Stadt brutalst eine Gruppe Bankräuber um, nur um es später zu leugnen. Pennywise ist das Böse, und er bringt das Böseste in den Menschen zu Tage.

Doch etwas ist im Jahre 1958 anders. Sieben Kinder wehren sich gegen die Ignoranz der Erwachsenen, welche ignorieren, was in ihrer Stadt geschieht, sie beschließen, das Böse zu bekämpfen. Wie in "Buffy" liegt es an den scheinbar Schwachen, da die etablierten Instanzen versagen, die Erwachsenen nicht Quelle der Sicherheit sind, sondern höchsten dysfunktionale Familien bilden, welche das Leben nur noch schwerer machen, als es sowieso schon ist. Die sieben Kinder sind Außenseiter, Freaks und Geeks: Bill, der zum Anführer wird und dessen kleiner Bruder George das erste Opfer der neuerlichen Mordserie ist, stottert fürchterlich, Ben Hanscom ist fett, Beverly ist zwar schön, aber arm und mit einem brutalen Vater geschlagen, Stan ist Jude, Richie ist zu klug und kann nie im richtigen Moment den Mund halten, Eddie leidet an Asthma und seiner Mutter, die meint, er würde sterben, wenn er sich wie ein normaler Junge verhält, und Mike Hanley ist schwarz. Gerade durch diesen Außenseiterstatus werden sie innerhalb von Kings Welt zu möglichen Helden – dies ist der gleiche Mechanismus, der aus Peter Parker Spiderman macht. Doch ihr größter Feind ist letztendlich nicht unbedingt Pennywise, es ist eine Gruppe brutaler, vollkommen haltloser Jugendlicher unter der Führung des verrückten Henry Bowers, die ihr Leben noch viel essentieller bedrohen, als es der Clown könnte. Die Entscheidung, das Böse zu bekämpfen, fällt wie selbstverständlich. Die Gruppe nimmt war, dass eine Art übersinnliche Kraft sie zusammenhält, die sie zu eben dieser Heldentat verpflichtet, auch wenn sie dabei sterben. Während die Welt um sie herum in all ihrer Brutalität dargestellt wird, bilden sie ein Monopol der Ehrbarkeit, der wahren Heldenhaftigkeit. Sie steigen in die Kanalisation von Derry und führen einen Kampf gegen die fürchterliche Spinne, die aber wiederum nur eine Gestalt des "Bösen" selbst ist – eine unvorstellbare Kraft, die das Nichts ist. Das Gute in seiner materiellen Form ist eine Schildkröte (vielleicht hat King hier bei Michael Endes "Momo" Anleihen genommen, überhaupt gibt es einige Parallelen zur "Unendlichen Geschichte"), die allerdings nichts bewirken kann, denn das Gute muss von den Menschen vollbracht werden, die auf sich selbst gestellt sind. Leider scheitern sie 1958, sie lassen das Böse schwerst verwundet, aber nicht tot, in der Kanalisation zurück. Danach schließen sie einen Pakt: sollte es noch einmal zu einer solchen Mordserie kommen, werden alle nach Derry zurückkehren, und das Böse abermals bekämpfen.

Michael Hanley ist der Einzige, der in der Stadt zurückbleibt, und somit der Einzige, der sich an alles erinnert. Die anderen ziehen aus und werden außergewöhnlich erfolgreich. Bill überwindet sein stottern und wird Schriftsteller, Ben erschlankt und baut die erstaunlichsten Gebäude, Beverly wird Modedesignerin und reich, Stan hat ein erfolgreiches Chauffeurunternehmen, Richie wird der erfolgreichste Radio-DJ der Staaten, und Eddie wird als Marktforscher reich. Trotzdem, trotz dieses vordergründigen Erfolges und des Umstandes, dass alle ihre Kindheit und einander vollkommen vergessen haben, sind die realen Dämonen noch nicht überwunden. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, schreibt sich Bill immer nur an der ultimativen Horrorgeschichte seines Lebens die Finger wund, Bens Gebäude ähneln denen in Derry, Beverly hat einen brutalen Mann geheiratet, der sie wie ihr eigener Vater missbraucht und manipuliert und so weiter. Als Michael sie alle 1985 anruft, um ihnen zu sagen, dass sie zurückkehren müssen, kehren die Erinnerungen langsam zurück. Nicht alle schaffen es zurück nach Derry, und nicht alle überleben den ultimativen, letzten Kampf gegen das Böse, an dessen Ende die Vernichtung der Stadt Derry steht.

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