Worüber Österreich spricht: eine Fünfzehnjährige, deren Familie seit zwei Jahren illegal in Österreich lebt und jetzt in den Kosovo abgeschoben werden soll taucht unter, schickt eine Botschaft, dass sie lieber sterben würde, als in eine Region zurückzukehren, die sie nicht kennt, in der sie keine Zukunft hat, gerät in die Obhut medienkundiger Helfer, und provoziert den im Rampenlicht stehenden Innenminister dazu, „Der Staat ist nicht erpressbar“ zu sagen, was wirklich nur ganz zufällig perfekt in die RAF-Gedenkmonate oder wie auch immer man das nennen mag passt. In einem Fall sind es die Terroristen, die den Staat erpressen, im anderen eine Fünfzehnjährige, deren Funktion erst so richtig deutlich wird, als sie tatsächlich im Dialekt in einer Videobotschaft wiederholt, was sie schon schriftlich verlautbart hat. Die Abfolge ist hier die gleiche wie vor einem Jahr bei Natascha Kampusch: Erstmal die schriftliche Botschaft, dann das kollektive Entsetzen, als das Video kommt, das Bild, der Ton. Im einen Fall war es das Erstaunen über die Präzise, elegante Ausdrucksweise, die eine junge Frau da präsentierte, ohne jemals die Volksschule abgeschlossen zu haben, im anderen Fall das Entsetzen darüber, wie groß die Differenz zwischen dem „Asylanten“ der breiten Berichterstattung ist und dem Mädchen aus dem Dorf, das schon längst den Dialekt angenommen hat, da sie hier schon seit fünf Jahren lebt, fast ihre ganze Schulzeit. Die Frage der Integration stellt sich hier gar nicht mehr – wohl aber die, wie groß der Rückhalt in der breiten Bevölkerung gewesen wäre, wenn der Hilferuf eines gebrochen Deutsch sprechenden jungen Mannes aus Nigeria gekommen wäre. Dabei ist der Fall dieser Familie noch nicht einmal wirklich bezeichnend für die Asylproblematik in Österreich: die besteht ja darin, dass Asylverfahren in manchen fällen länger als zehn Jahre brauchen, bis sie durch alle Instanzen durch sind, und die Betroffenen dann abgeschoben werden, wenn sie bereits integriert sind, ohne sich davor etwas zuschulden kommen zu lassen oder jemals illegal hier gelebt zu haben.
Aber es ist wiederum das Argument der „Erpressbarkeit“. Eine Ironie des Schicksals, das dieses Einzelerlebnis, welches herausgepickt wird, und von jenen Politikern, die sonst gerne von Asylanten, Drogen und Kriminalität in einem Zuge sprechen, auch besonders deutlich als solches dargestellt wird (in Wahrheit gibt es wohl tausende solcher Fälle, die aber immer nur als Individualschicksal an die Öffentlichkeit kommen werden, da es nirgends sonst so sehr um Emotionen geht wie bei der Asyl- und Einwanderungsthematik), ausgerechnet einige Monate auftaucht, nachdem die Rückzahlung des Kindergeldes so stark in den Medien war. In diesem Fall hielten sich österreichische Familien nicht an die Einkommensgrenzen, bezogen unberechtigterweise Kindergeld, und sollen dieses nun zurückzahlen. Wofür werden Gesetze gemacht?
Ein wertfreies Argument: Ein Land kann sich durchaus dazu entscheiden, eine strenge Einwanderungspolitik zu betreiben (ohne hier von Asylpolitik zu sprechen, die eigentlich immer singulär betrachtet werden muss) – allerdings müssen in diesem Fall die Verfahren beschleunigt werden, um zu verhindern, dass Kinder fünf der wichtigsten Jahre ihres Lebens hier verbringen und dann in ein Land abgeschoben werden, das sie nicht mehr kennen, weil Kinder schnell vergessen. Das ist nicht nur unmenschlich, es ist zusätzlich einfach nicht notwendig. Ein integrierter, arbeitender Einwanderer bringt dem Staat Gewinn, nicht Verlust- Aber gerade bei Migrationfragen wird oft darauf gepocht, dass die Gesetze besonders streng ausgelegt werden müssten, da sich sonst vielleicht noch herumspricht, wie leicht es ist, hier zu bleiben. Was hie beschworen wird, ist eine unkontrollierte Welle illegaler Einwanderung. Jene, die tatsächlich flüchten, bleiben allzu oft hängen (sie ertrinken im Mittelmeer, schaffen es nicht über die Zäune in den Spanischen Enklaven, oder schaffen es gar nicht erst aus dem Land heraus, aus dem sie flüchten müssen). Innerhalb der EU gilt das Diktum „innere Einheit, nach Außen dichtmachen“. Daher der Begriff der „Fortress Europe“, die nur auf illegalem Weg penetriert werden kann, um überhaupt erst ein Asylverfahren zu bekommen.
Gleichzeitig werden die alten Nationalstaaten brüchig. Kulturelle Identität ist ein rein fiktives Konstrukt, das sich hauptsächlich über Sprache und Sport herstellt, sonst aber kaum Relevanz hat. Welche Filme gesehen und welche Musik gehört wird, hat nichts mehr mit nationalen Grenzen zu tun, die Wirtschaft hat sich verselbstständigt, die demokratischen Mechanismen, die auf dieser Ebene funktionieren würden, sind noch nicht erfunden. Dass durch einen verstärkt „moralischen“ Konsum im Westen die Wirtschaft moralisch agiert, ist auch nur ein Wunschtraum – die Zahl jener, die es sich tatsächlich leisten kann, Kaufentscheidungen auf Grund von Produktionsbedingungen und dem Fair-Trade-Siegel zu treffen, ist verschwindend gering.
Aber zurück zu dem Mädchen, das, im Gegensatz zu Natascha Kampusch, die größte Wirkung erzielt hat, in dem es „Ganz normal“ ist, und nicht irgendwie hervorsticht. Es kann nur für sich selbst sprechen, und hat jedes Recht dazu, dies zu tun, und auch auf dem Weg, der gewählt wurde. Politik inszeniert sich über Medien, Meinungen werden über die Medien geformt, also kommt es jedem Staatsbürger und jedem Menschen überhaupt, seine eigenen Interessen dadurch zu verwirklichen, das er sich entsprechend der Regeln des Marktes inszeniert. Das ist eine kalte Perspektive auf ein Thema, das immer nur emotional aufgeladen diskutiert wird, egal ob es der „böse Drogenasylant“ ist, oder das „arme Mäderl“. Gehandelt wird mit Bildern und Emotionen. Für die breite Masse der Asylwerber, die Jahre auf einen Bescheid warten und prekär ohne Recht auf Beschäftigung leben, wird dies keine Verbesserung der Lebensumstände bieten, und es wird auch nicht den gesamteuropäischen Trend umkehren, Asylverfahren in die Grenzregionen der Union zu verschieben oder überhaupt nach „sicheren Drittstaaten“ auszuschließen, deren Staatsangehörige gar nicht erst das Recht auf ein Verfahren erhalten. Die Angst vor dem Terror und vor Arbeitsverlust nimmt Auswirkungen auf ein RECHT, nicht einen Gnadenakt, das nach dem Holocaust geschaffen würde, um zu verhindern, das Flüchtende in ein Land zurückgebracht werden, in denen ihnen Folter und Tod wegen ihrer Ethnizität, Rasse, politischer Ausrichtung oder Religion drohen. Wir können auch beklagen, dass das gesteigerte Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung, welches auch erst aus der medialen Inszenierung einer immerwährenden Bedrohungszustandes durch einen ominösen „Terrorismus“ ohne Grenzen oder ein Ende geschaffen wurde, auf unsere persönlichen Freiheiten schlimme Auswirkungen hat, aber noch viel schlimmer haben es jene, die schon vorher prekär gelebt haben.
Diese Themen werden immer wiederkehren, weil ich ein schlechtes Gewissen hätte, immer nur darüber zu klagen, wie sehr die neuen Beschäftigungsverhältnisse eine ganze Generation junger, ambitionierter Menschen in eine teils freiwillige, teils unfreiwillige Selbstausbeutung treiben. Ein riesiger Teil der Weltbevölkerung kann gar nicht darüber nachdenken, ob schwer erkämpfte Freiheitsrechte jetzt wiederum beschnitten werden, ob der etablierte Wohlfahrtsstaat, von dem unsere Eltern noch profitiert haben, uns jetzt weggenommen wird, damit ein paar wenige noch reicher werden. Es ist leicht, dieses Unrechtsbewusstsein auf den Punkt zu bringen: Das Gefühl, dass hier ohne zu zögern davon gesprochen wird, dass der Generationenvertrag weiterhin aufrecht bleiben muss, dass die Pensionen nicht gesenkt werden können, während die Jungen nur hoffen können, dass ihre Eltern einmal genug hinterlassen werden, um ihre eigene höhere Lebenserwartung zu finanzieren.
Der Staat ist dazu da, die Selbstsucht des Einzelnen dahingehend zu regulieren und zu lenken, dass nachher bessere Lebensumstände für alle herauskommen. So einfach ist das.
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