Juno, 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage und Palindromes
Zwei Filme, die nichts miteinander zu tun haben, außer dass es in beiden um junge, schwangere Frauen geht: Die eine entscheidet sich, das Kind an Adoptiveltern abzugeben. Die andere, abzutreiben. Das eine ist eine Komödie, das andere ein realistisches Drama. Der eine spielt in einer amerikanischen Kleinstadt, der andere in einer rumänischen Universitätsstadt in den späten Achtziger Jahren.
Gleich von Anfang an: in vielen amerikanischen Reviews wurde bereits versucht, das Phänomen der „Schwangeren-Frauen-Filme“ zu diskutieren, indem eben Juno, 4 Monate, Knocked Up und einige andere letztes Jahr erschienene Produkte verglichen wurden. Tatsächlich lassen sich Parallelen nur oberflächlich herstellen: wie handeln Individuen, wenn sie eine gewisse Menge an Optionen haben. Im Falle von „Juno“ stehen alle Möglichkeiten offen: Die 16jährige kennt sie, eine Freundin kann ihr eine Klinik empfehlen, das größte Hindernis dorthin ist eine wiedergeborene christliche Klassenkollegin, die lauthals „Don’t Kill You Baby, it has fingernails“ verkündet. Die Entscheidung fällt dann erst, als sie im Inneren mit einer merkwürdig unberührten Rezeptionistin konfrontiert wird, nachvollziehen kann sie der Zuseher nicht, denn obwohl Juno nie um eine kluge Antwort verlegen ist, bleibt sie im Grunde genommen genau so verschlossen wie die Protagonistinnen von 4 Monate, 3 Tage und 2 Wochen.
Das ist ein Film, der nur zusieht. Es dauert die Hälfte des Filmes, bis das Wort „Abtreibung“ überhaupt fällt, bis dahin trifft die Hauptdarstellerin unerklärliche Vorkehrungen nach strengen Anweisungen und der Zuseher sieht den Alltag in einem politischen System, das kurz vor dem Niedergang ist, in dem nur noch mit Korruption und Schwarzmarkt überhaupt noch ein leben möglich ist. Eine beklemmende Atmosphäre der beschränkten Möglichkeiten wird langsam und sicher aufgebaut, so dass die beiden Frauen am Höhepunkt des Filmes, in dem beengten Hotelzimmer, bereits in ihrem Käfig sitzen, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die Machtverhältnisse sind geklärt, sie sind ausgeliefert, was auch immer der Mann von ihnen verlangt, müssen sie tun, und es steht auch außer Frage, irgendeine andere Art von Hilfe einzuholen. Im Endeffekt geht es in dem Film, wenn man im vom letzten Moment her betrachtet, eher darum, was dieses Ereignis, diese illegale Abtreibung, die viel mehr kostet als nur Geld, mit der Freundschaft der beiden Frauen anrichtet, und all das objektiv erzählt, ohne Einblick in die Gedanken, ohne störende inszenierte Musik.
In Juno: Das genaue Gegenteil. Der Film beginnt mit „All I Want Is You“ von Barry Louis Parker: „If I was a flower growing wild and free / All I'd want is you to be my sweet honey bee. / And if I was a tree growing tall and greeen / All I'd want is you to shade me and be my leaves”. Über den Soundtrack ist vermutlicherweise beinahe genau so viel geschrieben worden, wie über den Film selbst, und er ist auch ein Auslöser für einen Teil des sogenannten “Juno-Backlash“. Juno begann als Geheimtipp, der sich vor allem deswegen so weit verbreitete, weil er so viele verschiedene Fandoms auf einmal erfasste. Begeisterte Ellen Page Fans, Menschen, die Jason Bateman und Michael Cera aus Arrested Development kennen, all jene, die bei dem Gedanken, dass ein Filmsoundtrack in Zusammenarbeit mit Ex-Moldy-Peaches-Sängerin Kimya Dawson entstehen könnte, freudige Luftsprünge machten. Und dann natürlich der Zeitgeist: Nach dem Erfolg von Knocked Up wieder ein Film über ungewollte Schwangerschaft. Und die Drehbuchautorin Diablo Cody war früher Stripperin!
Der schlimmste Vorwurf von Indie-Seite, und das ist erst mal die einzige Kritik, die wir überhaupt ernst nehmen wollen, ist der, dass Juno ein kalkulierter Erfolg ist. Filme, die so tun, als wären wir alle ein bisschen schräg und genau deswegen spannend individuell und interessant, sind seit Garden State und Little Miss Sunshine prädestiniert, weit mehr einzuspielen, als sie gekostet haben. Das, in Verbindung mit einem Soundtrack, der auf weniger bekannte Künstler zurückgreift, die trotzdem einen mass appeal haben, ist natürlich ein sicherer Erfolg.
Ich bin also in heiterer Erwartung an Juno herangegangen: Weil ich Arrested Development mag, weil ich Ellen Page in Hard Candy fantastisch fand, weil ich gute Dialoge mag, und ich vorher wusste, dass sowohl Kimya Dawson als auch Cat Power (mit einem Song in der zentralen emotionalen Szene des Filmes, Sea of Love, vertreten) Songs beisteuern würden. Ich sah den Film, und fand ihn toll, weil sich Dialogfetzen in meinem Kopf verfingen, weil ich die Schauspieler richtig gut fand, weil der Soundtrack gut ist. Auf einer rein emotionalen, unreflektierten Ebene ist Juno ein wunderbarer Film, den man mehr als einmal sehen möchte, der schön aussieht, der ein gutes Gefühl im Kopf hinterlässt. Aber danach beginnt das Gerede zu nagen. Erstens: Es geht in dem Film um ein Mädchen, das klüger und intelligenter zu sein scheint, als ihre Außenwelt, das sich allein schon wegen ihrer Artikulationsfähigkeit von ihrer Umgebung unterscheidet, das ganz bewusst versucht, sich abzuheben. Das wäre ein klassisches, lange vermisstes role model für Jugendliche, die damit aufgewachsen sind, dass ihre Stars bewusstlos von Parties weggetragen werden und aus dem Stand nicht sagen können, auf welchem Kontinent Spanien liegt. Trotzdem trifft sie diese eine, falsche, unvernünftige Entscheidung, die vom Film als gegeben vorausgesetzt werden muss und gar nicht erklärt werden kann, da sie überhaupt nicht zu dem Menschen passt, der uns danach präsentiert wird.
Zweitens, und das ist vielleicht das größere Problem, ist Juno kein realistischer Film, will es auch gar nicht sein. Das ist kein Film über die Probleme, die eine junge Frau hat, die zu früh schwanger wird, denn die Hürden für Juno sind eigentlich nicht vorhanden. Ihr Vater und ihre Stiefmutter unterstützen sie, auch wenn sie anfangs noch schlucken. Ja, sie wird in der Schule angestarrt, aber in einer High School reicht es schon, eine falsche Frisur zu haben, um aufzufallen, und dafür kommt Juno eigentlich gut weg. Der Vater des Kindes ist ein ungeschickter, unglücklich in sie verliebter Typ, der einige Zeit braucht, aber am Ende doch noch das Mädchen kriegt, mit der er dann ganz idyllisch auf der Gitarre Anyone Else But You singt, schließlich sind die beiden füreinander bestimmt: „Here is the church and here is the steeple / We sure are cute for two ugly people / I don't see what anyone can see, in anyone else / But you“. Die größten Probleme des Filmes haben die zukünftigen Adoptiveltern: Der Ehemann, der irgendwann in den frühen Neunzigern dabei steckengeblieben ist, nicht Kurt Cobain geworden zu sein, und deswegen mit seinen teuren Gitarren in einem Abstellkammerl seiner coolen Jugend nachweint (fabelhaft verkörpert von Jason Bateman) und die herzige Ehefrau, zu nah am Wasser gebaut, die dafür geboren ist, eine Mutter zu sein, aber dafür nicht den richtigen Mann gefunden hat (eine wie für die Rolle geborene Jennifer Garner).
Wie also lässt sich Juno rechtfertigen? Mit der einfachen Aussage, dass ein Film nicht relevant über ein „issue“ referieren muss, um eine Existenzberechtigung zu haben.
Jetzt noch ein Ausreißer in eine dritte Perspektive, die vielleicht notwendig ist, um überhaupt vernünftig über „Juno“ nachdenken zu können: Palindromes von Todd Solondz, ein Film, der 2004 leider fast untergegangen ist. In Palindromes geht es um ein dreizehnjähriges Mädchen, das sich ein Kind wünscht, schwanger wird, von ihren Eltern zur Abtreibung gezwungen wird, und danach eine Odyssee antritt, während derer alle möglichen Positionen zum Thema Abtreibung präsentiert werden, ohne jemals zu einem Ergebnis zu kommen, was jetzt der moralisch richtige Weg sein könnte (wobei, wie bei Solondz üblich, alle eher unrecht haben als recht). Man könnte sagen, der Film wäre ein Plädoyer für die Entscheidungsfreiheit, aber eben auch für die Entscheidungsfreiheit FÜR das Kind, nicht nur dagegen, denn die radikalen Abtreibungsgegner kommen nicht gut weg. Das ist die dritte Möglichkeit: Das äußere System würde beide Entscheidungen offen lassen, aber die Eltern des Mädchens nicht.
In den Welten, die Todd Solondz in seinen Filmen aufbaut, zerfallen jegliche moralischen Dogmen, die sich der Zuseher in seinem Leben angeeignet hat. Alles wird in Frage gestellt, alles wird von beiden Seiten gezeigt, und niemand kann sich hinter einfachen Antworten und vorgefestigten Meinungen verstecken.
Zurück zu Juno und 4 Monate, 3 Tage und 2 Wochen. Irrelevant, ob man die beiden Filme für gut oder schlecht hält, im Zentrum stehen talentierte Schauspielerinnen. Ellen Page, in einem New York Times Review berechtigterweise als „frighteningly talented“ bezeichnet, ist deswegen gut, weil sie vorher Hard Candy gemacht hat und als nächstes wahrscheinlich ein nicht weniger ambitioniertes Projekt. Sie beherrscht diese Art von Komödie perfekt, aber es steht außer Frage, dass sie ebenso gut ernsthafte Rollen spielen kann. Sie ist vielseitig. Und Anamaria Marinca, die Otilia spielt, ist in diesem Film so intensiv, sie trägt ihn alleine – und die aufgebaute Enge, die Spannung, wird nie aufgelöst. Deswegen ist in einem Film, der zwei Vergewaltigungen und einige schockierende Bilder von einer Abtreibung beinhaltet, die Szene, in der sie in einer Abendgesellschaft ihres Freundes nervös auf einen Anruf erwartet, auch eine der bedrückendsten des Filmes: Weil die Kamera an ihrem Gesicht hängt, das viele Minuten lang im Mittelpunkt des Bildes steht, während um sie herum die üblichen Gespräche ablaufen.
Während ihre schwangere Freundin in dem Regime, das keine legalen Möglichkeiten offen lässt, absolut hilflos ist, hat sie sich zurechtgefunden. Sie weiß, wen sie wie bestechen muss, sie kennt die Regeln, sie weiß, was notwendig ist. Die Welt in 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage lässt keine Handlungsoptionen offen.
Juno
USA, 2007, Regie: Jason Reitman, mit Ellen Page, Michael Cera, Olivia Thirlby, Jason Bateman, Jennifer Garner, Allison Janney, J.K. Simmons, Rainn Wilson
Ab 21. März im Kino
4 Monate, 3 Tage und 2 Wochen (4 luni, 3 saptamâni si 2 zile)
Rumänien 2005, Regie: Cristian Mungui, mit Anamaria Marinca, Laura Vasiliu, Vlad Ivanov, Alexandru Potocean, Ion Sapdaru
Seit 18. Januar im Kino, ab 7. Mai als DVD erhältlich
Palindromes
USA 2004, Regie: Todd Solondz, mit Matthew Faber, Angela Pietropinto, Bill Buell, Emani Sledge, Ellen Barkin, Valerie Shusterov, Richard Masur, Hillary Bailey Smith
Als DVD erhältlich
Knocked Up
USA 2007, Regie: Judd Apatow, mit Seth Rogen, Katherine Heigl, Paul Rudd, Leslie Mann, Jason Segel, Jay Baruchel, Jonah Hill, Martin Starr
Ab 11. März als DVD erhältlich
Zwei Filme, die nichts miteinander zu tun haben, außer dass es in beiden um junge, schwangere Frauen geht: Die eine entscheidet sich, das Kind an Adoptiveltern abzugeben. Die andere, abzutreiben. Das eine ist eine Komödie, das andere ein realistisches Drama. Der eine spielt in einer amerikanischen Kleinstadt, der andere in einer rumänischen Universitätsstadt in den späten Achtziger Jahren.
Gleich von Anfang an: in vielen amerikanischen Reviews wurde bereits versucht, das Phänomen der „Schwangeren-Frauen-Filme“ zu diskutieren, indem eben Juno, 4 Monate, Knocked Up und einige andere letztes Jahr erschienene Produkte verglichen wurden. Tatsächlich lassen sich Parallelen nur oberflächlich herstellen: wie handeln Individuen, wenn sie eine gewisse Menge an Optionen haben. Im Falle von „Juno“ stehen alle Möglichkeiten offen: Die 16jährige kennt sie, eine Freundin kann ihr eine Klinik empfehlen, das größte Hindernis dorthin ist eine wiedergeborene christliche Klassenkollegin, die lauthals „Don’t Kill You Baby, it has fingernails“ verkündet. Die Entscheidung fällt dann erst, als sie im Inneren mit einer merkwürdig unberührten Rezeptionistin konfrontiert wird, nachvollziehen kann sie der Zuseher nicht, denn obwohl Juno nie um eine kluge Antwort verlegen ist, bleibt sie im Grunde genommen genau so verschlossen wie die Protagonistinnen von 4 Monate, 3 Tage und 2 Wochen.
Das ist ein Film, der nur zusieht. Es dauert die Hälfte des Filmes, bis das Wort „Abtreibung“ überhaupt fällt, bis dahin trifft die Hauptdarstellerin unerklärliche Vorkehrungen nach strengen Anweisungen und der Zuseher sieht den Alltag in einem politischen System, das kurz vor dem Niedergang ist, in dem nur noch mit Korruption und Schwarzmarkt überhaupt noch ein leben möglich ist. Eine beklemmende Atmosphäre der beschränkten Möglichkeiten wird langsam und sicher aufgebaut, so dass die beiden Frauen am Höhepunkt des Filmes, in dem beengten Hotelzimmer, bereits in ihrem Käfig sitzen, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die Machtverhältnisse sind geklärt, sie sind ausgeliefert, was auch immer der Mann von ihnen verlangt, müssen sie tun, und es steht auch außer Frage, irgendeine andere Art von Hilfe einzuholen. Im Endeffekt geht es in dem Film, wenn man im vom letzten Moment her betrachtet, eher darum, was dieses Ereignis, diese illegale Abtreibung, die viel mehr kostet als nur Geld, mit der Freundschaft der beiden Frauen anrichtet, und all das objektiv erzählt, ohne Einblick in die Gedanken, ohne störende inszenierte Musik.
In Juno: Das genaue Gegenteil. Der Film beginnt mit „All I Want Is You“ von Barry Louis Parker: „If I was a flower growing wild and free / All I'd want is you to be my sweet honey bee. / And if I was a tree growing tall and greeen / All I'd want is you to shade me and be my leaves”. Über den Soundtrack ist vermutlicherweise beinahe genau so viel geschrieben worden, wie über den Film selbst, und er ist auch ein Auslöser für einen Teil des sogenannten “Juno-Backlash“. Juno begann als Geheimtipp, der sich vor allem deswegen so weit verbreitete, weil er so viele verschiedene Fandoms auf einmal erfasste. Begeisterte Ellen Page Fans, Menschen, die Jason Bateman und Michael Cera aus Arrested Development kennen, all jene, die bei dem Gedanken, dass ein Filmsoundtrack in Zusammenarbeit mit Ex-Moldy-Peaches-Sängerin Kimya Dawson entstehen könnte, freudige Luftsprünge machten. Und dann natürlich der Zeitgeist: Nach dem Erfolg von Knocked Up wieder ein Film über ungewollte Schwangerschaft. Und die Drehbuchautorin Diablo Cody war früher Stripperin!
Der schlimmste Vorwurf von Indie-Seite, und das ist erst mal die einzige Kritik, die wir überhaupt ernst nehmen wollen, ist der, dass Juno ein kalkulierter Erfolg ist. Filme, die so tun, als wären wir alle ein bisschen schräg und genau deswegen spannend individuell und interessant, sind seit Garden State und Little Miss Sunshine prädestiniert, weit mehr einzuspielen, als sie gekostet haben. Das, in Verbindung mit einem Soundtrack, der auf weniger bekannte Künstler zurückgreift, die trotzdem einen mass appeal haben, ist natürlich ein sicherer Erfolg.
Ich bin also in heiterer Erwartung an Juno herangegangen: Weil ich Arrested Development mag, weil ich Ellen Page in Hard Candy fantastisch fand, weil ich gute Dialoge mag, und ich vorher wusste, dass sowohl Kimya Dawson als auch Cat Power (mit einem Song in der zentralen emotionalen Szene des Filmes, Sea of Love, vertreten) Songs beisteuern würden. Ich sah den Film, und fand ihn toll, weil sich Dialogfetzen in meinem Kopf verfingen, weil ich die Schauspieler richtig gut fand, weil der Soundtrack gut ist. Auf einer rein emotionalen, unreflektierten Ebene ist Juno ein wunderbarer Film, den man mehr als einmal sehen möchte, der schön aussieht, der ein gutes Gefühl im Kopf hinterlässt. Aber danach beginnt das Gerede zu nagen. Erstens: Es geht in dem Film um ein Mädchen, das klüger und intelligenter zu sein scheint, als ihre Außenwelt, das sich allein schon wegen ihrer Artikulationsfähigkeit von ihrer Umgebung unterscheidet, das ganz bewusst versucht, sich abzuheben. Das wäre ein klassisches, lange vermisstes role model für Jugendliche, die damit aufgewachsen sind, dass ihre Stars bewusstlos von Parties weggetragen werden und aus dem Stand nicht sagen können, auf welchem Kontinent Spanien liegt. Trotzdem trifft sie diese eine, falsche, unvernünftige Entscheidung, die vom Film als gegeben vorausgesetzt werden muss und gar nicht erklärt werden kann, da sie überhaupt nicht zu dem Menschen passt, der uns danach präsentiert wird.
Zweitens, und das ist vielleicht das größere Problem, ist Juno kein realistischer Film, will es auch gar nicht sein. Das ist kein Film über die Probleme, die eine junge Frau hat, die zu früh schwanger wird, denn die Hürden für Juno sind eigentlich nicht vorhanden. Ihr Vater und ihre Stiefmutter unterstützen sie, auch wenn sie anfangs noch schlucken. Ja, sie wird in der Schule angestarrt, aber in einer High School reicht es schon, eine falsche Frisur zu haben, um aufzufallen, und dafür kommt Juno eigentlich gut weg. Der Vater des Kindes ist ein ungeschickter, unglücklich in sie verliebter Typ, der einige Zeit braucht, aber am Ende doch noch das Mädchen kriegt, mit der er dann ganz idyllisch auf der Gitarre Anyone Else But You singt, schließlich sind die beiden füreinander bestimmt: „Here is the church and here is the steeple / We sure are cute for two ugly people / I don't see what anyone can see, in anyone else / But you“. Die größten Probleme des Filmes haben die zukünftigen Adoptiveltern: Der Ehemann, der irgendwann in den frühen Neunzigern dabei steckengeblieben ist, nicht Kurt Cobain geworden zu sein, und deswegen mit seinen teuren Gitarren in einem Abstellkammerl seiner coolen Jugend nachweint (fabelhaft verkörpert von Jason Bateman) und die herzige Ehefrau, zu nah am Wasser gebaut, die dafür geboren ist, eine Mutter zu sein, aber dafür nicht den richtigen Mann gefunden hat (eine wie für die Rolle geborene Jennifer Garner).
Wie also lässt sich Juno rechtfertigen? Mit der einfachen Aussage, dass ein Film nicht relevant über ein „issue“ referieren muss, um eine Existenzberechtigung zu haben.
Jetzt noch ein Ausreißer in eine dritte Perspektive, die vielleicht notwendig ist, um überhaupt vernünftig über „Juno“ nachdenken zu können: Palindromes von Todd Solondz, ein Film, der 2004 leider fast untergegangen ist. In Palindromes geht es um ein dreizehnjähriges Mädchen, das sich ein Kind wünscht, schwanger wird, von ihren Eltern zur Abtreibung gezwungen wird, und danach eine Odyssee antritt, während derer alle möglichen Positionen zum Thema Abtreibung präsentiert werden, ohne jemals zu einem Ergebnis zu kommen, was jetzt der moralisch richtige Weg sein könnte (wobei, wie bei Solondz üblich, alle eher unrecht haben als recht). Man könnte sagen, der Film wäre ein Plädoyer für die Entscheidungsfreiheit, aber eben auch für die Entscheidungsfreiheit FÜR das Kind, nicht nur dagegen, denn die radikalen Abtreibungsgegner kommen nicht gut weg. Das ist die dritte Möglichkeit: Das äußere System würde beide Entscheidungen offen lassen, aber die Eltern des Mädchens nicht.
In den Welten, die Todd Solondz in seinen Filmen aufbaut, zerfallen jegliche moralischen Dogmen, die sich der Zuseher in seinem Leben angeeignet hat. Alles wird in Frage gestellt, alles wird von beiden Seiten gezeigt, und niemand kann sich hinter einfachen Antworten und vorgefestigten Meinungen verstecken.
Zurück zu Juno und 4 Monate, 3 Tage und 2 Wochen. Irrelevant, ob man die beiden Filme für gut oder schlecht hält, im Zentrum stehen talentierte Schauspielerinnen. Ellen Page, in einem New York Times Review berechtigterweise als „frighteningly talented“ bezeichnet, ist deswegen gut, weil sie vorher Hard Candy gemacht hat und als nächstes wahrscheinlich ein nicht weniger ambitioniertes Projekt. Sie beherrscht diese Art von Komödie perfekt, aber es steht außer Frage, dass sie ebenso gut ernsthafte Rollen spielen kann. Sie ist vielseitig. Und Anamaria Marinca, die Otilia spielt, ist in diesem Film so intensiv, sie trägt ihn alleine – und die aufgebaute Enge, die Spannung, wird nie aufgelöst. Deswegen ist in einem Film, der zwei Vergewaltigungen und einige schockierende Bilder von einer Abtreibung beinhaltet, die Szene, in der sie in einer Abendgesellschaft ihres Freundes nervös auf einen Anruf erwartet, auch eine der bedrückendsten des Filmes: Weil die Kamera an ihrem Gesicht hängt, das viele Minuten lang im Mittelpunkt des Bildes steht, während um sie herum die üblichen Gespräche ablaufen.
Während ihre schwangere Freundin in dem Regime, das keine legalen Möglichkeiten offen lässt, absolut hilflos ist, hat sie sich zurechtgefunden. Sie weiß, wen sie wie bestechen muss, sie kennt die Regeln, sie weiß, was notwendig ist. Die Welt in 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage lässt keine Handlungsoptionen offen.
Juno
USA, 2007, Regie: Jason Reitman, mit Ellen Page, Michael Cera, Olivia Thirlby, Jason Bateman, Jennifer Garner, Allison Janney, J.K. Simmons, Rainn Wilson
Ab 21. März im Kino
4 Monate, 3 Tage und 2 Wochen (4 luni, 3 saptamâni si 2 zile)
Rumänien 2005, Regie: Cristian Mungui, mit Anamaria Marinca, Laura Vasiliu, Vlad Ivanov, Alexandru Potocean, Ion Sapdaru
Seit 18. Januar im Kino, ab 7. Mai als DVD erhältlich
Palindromes
USA 2004, Regie: Todd Solondz, mit Matthew Faber, Angela Pietropinto, Bill Buell, Emani Sledge, Ellen Barkin, Valerie Shusterov, Richard Masur, Hillary Bailey Smith
Als DVD erhältlich
Knocked Up
USA 2007, Regie: Judd Apatow, mit Seth Rogen, Katherine Heigl, Paul Rudd, Leslie Mann, Jason Segel, Jay Baruchel, Jonah Hill, Martin Starr
Ab 11. März als DVD erhältlich
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