Monday 29 September 2008

Perspektiven danach

Ich werde die Nationalratswahlen 2008 mit diesem Post einstweilig für mich abschließen und erst wieder darüber schreiben, wenn die Verhandlungen richtig begonnen haben, und wenn das Endergebnis feststeht. Ich werde nicht jede Millimeter-Bewegung der Parteien kommentieren (es sei denn, etwas wirklich wichtiges passiert: Wiederzusammenschluss von FPÖ und BZÖ, neuer ÖVP-Vorsitz etc.) Ehrlich gesagt bin ich ausgelaugt. Ich bin müde. Und wie viele andere bin ich betroffen, schockiert, ein bisschen wütend, ängstlich, aber nicht überrascht. Und: es hätte schlimmer kommen können.

Wie hätte es schlimmer kommen können? Gehen wir davon aus, dass die gewonnenen Stimmen des BZÖ keine sind, die SPÖ oder Grüne bekommen hätten, wäre Haider nicht angetreten. Gehen wir davon aus, dass das FPÖ-Stimmen sind. Wäre bei dieser Nationalratswahl nur eine rechte Partei oder das BZÖ mit Westenthaler an der Spitze angetreten, würde Strache heute mit dem glücklichen Gefühl im Bauch aufstehen, die stimmstärkste österreichische Partei zu führen.
Oder: Die ÖVP hätte ihren Wahlkampf nicht verbockt. Sie hätte die richtigen Themen angesprochen, eine gute Kampagne geführt, mit einem starken Team hinter Wilhelm Molterer , das über dessen Blässe hinweg getäuscht. Dann würde Wilhelm Molterer heute mit dem glücklichen Gefühl im Bauch aufstehen, zukünftiger Bundeskanzler in einer Schwarz-Blau-Orangen Koalition zu sein.

Nichts davon ist passiert. Die SPÖ hat diese Wahlen gewonnen, mit dem schlechtesten Ergebnis in der 2. Republik und massiven Verlusten. Aber die ÖVP hat noch mehr Stimmen verloren, der Abstand zwischen den beiden Parteien ist größer, als erwartet, und das Rennen war auch nicht spannend, ab der ersten Hochrechnung stand dieses Ergebnis fest.
Die Koalitionsmöglichkeiten für Faymann sind nicht erst seit gestern Abend beschränkt. Jeder, der ihm glaubte, dass er FPÖ und BZÖ auch nach der Wahl ausschließen würde, wusste, dass nur die beiden Möglichkeiten Große Koalition oder Minderheitenregierung bestehen. Eine plötzlich aus dem Nichts auftauchende Mehrheit mit Grün oder LIF - damit hat niemand gerechnet. Und einen Umschwung, der die Rechten miteinschließt, hat niemand, bis auf ein paar wenige, erhofft. Es war also klar, dass, sollte die SPÖ die Wahl gewinnen, wiederum alles von der ÖVP abhängen würde. Die ÖVP entscheidet, wie die nächste Regierung aussieht. Die Rufe aus den Bundesländern, die noch letzte Nacht gekommen sind, waren so verschieden wie erwartet. Molterer soll bleiben, Pröll soll kommen, am besten eine Koalition mit Orange und Grün (meinte Sausgruber: Eine Rechnung, die sich noch nicht ausgeht, und für die Grünen politisch nicht machbar ist, ganz abgesehen davon, dass es für diese Partei gar keinen Grund gibt, jetzt mit allen Mitteln in eine Regierung zu drängen). Ebenso vielfältig das Spektrum der roten Bundesländer: Häupl schließt eine Oppositionsrolle für die SPÖ nicht aus. Warum das?

Das, was gestern alle schockiert hat, weil es nun nicht mehr länger eine Vermutung, sondern nachprüfbare Wirklichkeit war: Die rechten Parteien haben insgesamt knapp 30 % der Stimmen. Dass das BZÖ zumindest bis zur Auszählung der Wahlkarten stärker als die Grünen ist, war eine Überraschung, aber wie bereits gesagt, noch schlimmer wäre es doch gewesen, wenn die FPÖ statt 18 % noch ein paar Prozentpunkte von Haider dazubekommen hätte.
Ich habe eine Theorie zu den Grünen Verlusten. Ich kenne mehr als einen ehemaligen Grünwähler, der bei dieser Wahl auf Rot umgeschwenkt ist, um sicherzustellen, dass die ÖVP nicht den ersten Platz erlangt, und auch aus persönlicher Sympathie zu Werner Faymann. Das war auch eine der Varianten, die ich für mich in Betracht gezogen habe, aber letztendlich sind da doch zu viele Punkte bei der SPÖ, mit denen ich nicht übereinstimme. Aber es war bestimmt eine rationale Entscheidung bei dieser Wahl, um eine Regierungsbeteiligung von FPÖ oder BZÖ zu verhindern. Insofern war Faymanns Taktik, diese beiden Parteien auszuschließen, ein guter Schachzug. Eine bittere Pille für die Grünen. Für solche Selbstverständlichkeiten bekommen sie nicht extra Stimmen.

Jetzt zu diesen erschreckenden 30 %. Die sind nicht unerklärbar, ganz im Gegenteil. Eine bessere Ausgangsposition für die rechte Opposition hätte es überhaupt nicht geben können. Aber ist das Potential damit ausgereizt? Immerhin haben 29,7 % der Wähler sich für eine Partei entschieden, die Strache und Haider explizit ausschließt. 9, 8 % haben die Grünen gewählt. Die ÖVP ist auf ihre Stammwählerschaft zusammengeschrumpft, schwer vorstellbar, dass da noch Potential für den rechten Rand vorhanden ist. Wer in einer solchen Situation ÖVP wählt, wird es wohl in beinahe jeder anderen wieder tun.
Die 30 % für die Rechten setzen sich aus sehr heterogenen Gruppen zusammen. Da gibt es natürlich Rechtsradikale, die, statt nicht zu wählen, Strache wählen. Aber ein guter Teil davon sind Protestwähler, Menschen, die glauben zu verlieren, die nicht gerne hören, dass die Gründe für ihren wirtschaftlichen Misserfolg vielleicht zu komplex sind, um gelöst zu werden. Diese Menschen leben einen Widerspruch: einerseits misstrauen sie der Politik, andererseits sprechen sie ihr die Fähigkeit zu, ihre Probleme zu lösen - und dies bewusst nicht zu tun. Dass diese Funktion in Österreich von rechten Parteien erfüllt wird, nicht von linken, liegt an der Geschichte des österreichischen Parteiensystems. In Deutschland erfüllt die Linke eine ähnliche Funktion, aber in Österreich gibt es keine vergleichbare linke Partei mit ähnlicher Wählerschicht.
Die Grünen können und wollen das nicht. Sie sind, wie gestern in den Analysen nach der fragwürdigen Aussage dass es nun "eine bürgerliche Mehrheit" gäbe festgestellt, die Partei mit der bürgerlichsten Wählerschicht. Die Grünen sind keine Partei der Arbeiter, sie sind auch keine Partei für die, die das Gefühl haben, den Anschluss verpasst zu haben. Sie werden zwar als linke Partei wahrgenommen, aber in vielen Bereichen gibt es bessere Anschlusspunkte an die ÖVP als an die SPÖ. Van der Bellen sagte gestern Abend, dass die Grünen wahrscheinlich einfach akzeptieren müssen, dass es in Österreich niemals mehr als 15 % für die Grünen geben wird, und da hat er recht. Das, was dem österreichischen Parteiensystem fehlt, ist eine linke Oppositionspartei, die mit FPÖ und BZÖ um deren Wähler konkurrieren kann, indem sie einen anderen, aber ebenso plausiblen Sündenbock präsentiert.
Die Parteien, die sich selbst der "Mitte" zurechnen, tragen die Verantwortung dafür, dass das System funktioniert. Sie müssen Politik machen und diese den Menschen so vermitteln, dass sie das Gefühl haben, es werde zumindest versucht, ihre Probleme zu lösen. Einfache Antworten sind nicht die richtigen. Es ist die Verantwortung der Medien, richtig und umfassend zu informieren. Es ist die Verantwortung der Zivilgesellschaft, einen breiten Konsens zu schaffen.

Eine Idee, die offensichtlich für manche SPÖ-Politiker einen gewissen Charme hat: die FPÖ regieren lassen wie 1999, dabei zuzusehen, wie sie daran wegen Mangel an qualifizierten Personen kläglich scheitert, und in den nächsten Wahlen die Scherben aufkehren. SPÖ und ÖVP sind deswegen mit einem blauen Auge davongekommen, weil das rechte Spektrum auf zwei Parteien aufgeteilt ist, wer weiß, wie das bei der nächsten Wahl wäre. Welchen besseren Grund könnten Haider und Strache haben, wieder zusammenzufinden (in einem CDU-CSU-Gebilde), als weitere Jahre einer schlecht zusammenarbeitenden großen Koalition? Ich sage nicht, dass es für die Rechten ein größeres Potential als 30 % gibt, aber wenn dieses Potential von einer Partei aufgesogen wird, reicht das ja schon für den Bundeskanzler. Das heißt, wenn eine große Koalition kommt, MUSS sie konstruktiv zusammenarbeiten. Ich halte nichts von einer Containment-Politik, die darauf beruht, sich darauf zu verlassen, dass FPÖ und BZÖ in Regierungsverantwortung scheitern. Und eine Containment-Politik ist notwendig, in den vergangenen Jahren sind alle, die eigentlich an einer besseren politischen Kultur in Österreich arbeiten sollten, kläglich gescheitert.

Das Wiener Ergebnis:

SPÖ 35,78
FPÖ 21,42
ÖVP 15,45
Grüne 15,44
BZÖ 4,80
LIF 3,90
KPÖ 1,11

In meinem Bezirk waren die Grünen stärker als die ÖVP. Das ist auch schon was. Landstraße, Margareten, Hernals, Währing waren sie die zweitstärkste Partei, in Wieden, Mariahilf, Neubau, Josefstadt, Alsergrund die stärkste. Wien!

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