Friday 19 September 2008

"Erzählen Sie mir nicht, was eine Grüne Position ist"

Es ist immer die gleiche Geschichte mit der ÖVP. Eine halbe Stunde lang genieße ich tatsächlich den unaufgeregten, sachlichen Ton, das verschiedene Lösungsansätze präsentiert werden, denen ich zustimme oder nicht, das liegt ja in der Natur der Sache, aber wenigstens habe ich nicht das Gefühl, dass einer der beiden Standpunkte von einer Ideologie so sehr verschleiert ist, dass menschliche Vernunft dahinter nicht mehr zu erkennen wäre. In diesem Ton wird über Pension und Schule gesprochen. Und dann, wie jedes Mal, unvermeidlich, kommt der Punkt, an dem ich den Fernseher anschreie und das Ausmaß der Dummheit, diesen Mief, der eigentlich nur entstehen kann, wenn Leute immer nur von anderen Leuten umgeben sind, die genau so verklemmt und weltfremd und, ich weiß nicht, herzlos, sind wie sie selbst.

Ich meine, wie sieht das Horrorszenario in den "christlich-sozialen" Köpfen aus?

Dass eine Frau am Standesamt zu ihrem zukünftigen Mann sagt, dass sie ihn doch nicht heiraten wird, weil das lesbische Pärchen so glücklich und sexy aussieht, dass sie sich die Sache mit der Heterosexualität vielleicht doch noch mal überlegt?

Dann ein Mann vor seiner zukünftigen Frau wegläuft, weil es ihm anerzogene Homophobie unmöglich macht, näher als 500 Meter an offensichtlich schwule Pärchen heranzukommen?

Und was soll das ganze bringen, wenn das Ziel Kinder sind, die in der konservativen Familie aufwachsen (die gibt es doch bei heterosexuellen Paaren auch nur noch selten...)?

Schatz, ich werde jetzt doch heterosexuell, damit ich Kinder haben kann?
Schatz, ich werde jetzt doch mal mit einer Frau schlafen, ich will unbedingt mal ein Standesamt nicht nur als Gast von innen sehen?
Schatz, die Gesellschaft ist gegen uns, ich liebe dich nicht mehr?

Damit das dumpfe Gefühl geschürt wird, man würde die Gesellschaft schon allein dadurch schädigen, dass man sich in eine Frau statt in einen Mann verliebt, genau so, wie sich 35jährige Frauen ohne Kinder dafür rechtfertigen müssen, dass sie das Pensionssystem kaputt machen, oder immer nur die Frau die böse Mutter ist, wenn sie das Kind in eine Krippe gibt und arbeiten geht, aber nie der Vater?
Und dann noch diese vorwurfsvolle Unterton in Molterers Stimme, als Van der Bellen ihm "ein bestimmtes Frauenbild" vorwirft. Das ist nicht nur ein bestimmtes Frauenbild, es ist noch dazu der Gedanke, dass die Politik so weit in das Leben der Bevölkerung eindringen soll, dass diese nur noch dem Weltbild der eigenen Partei entsprechende "Entscheidungen" trifft. Als ob es eine Entscheidung wäre. Ich meine, wir romantisch. Ich habe mich entschieden, dich zu lieben. Nach langem Erwägen und Nachdenken. FUCK.

Das ist in Wirklichkeit nicht weniger dogmatisch, als es die verrückt klingenden Standpunkte der Christen sind, nur dass die Mittel, um das gleiche Ziel zu erreichen, subtiler sind. Allein schon diese Argumentation, die die religiöse Rechte in den USA auch verwendet, vermischt mit Pseudowissenschaft und Demographie ("hey, Lesben dürfen jetzt Kinder adoptieren, lass uns deswegen EXTRA keine Kinder mehr bekommen!"). Unsere Gesellschaft braucht mehr Kinder. Lesben und Schwule dürfen keine Kinder adoptieren (und, eine Erweiterung, "Fortpflanzungsmedizin darf nicht angewendet werden"). Ergo sind sie böse und schlecht.

Das hat mir jegliche Energie geraubt, mich zu den Standpunkten zum Fremdenrecht auseinanderzusetzen. Nur eines dazu: was ist eigentlich Asylmissbrauch? Jemand der Asyl hat, ist anerkannter Flüchtling, wie kann man das Recht, anerkannter Flüchtling zu sein, missbrauchen? Wer Asyl will und nicht bekommt, wird früher oder später abgeschoben. Wenn das Verfahren 10 Jahre dauert, die Kinder, die in diesem Land aufgewachsen sind und die Sprache des Landes ihrer Eltern vielleicht sprechen, aber nicht schreiben können, weil sie sie gar nicht in österreichischen Schulen lernen könnten, sprechen alle Argumente für eine Verbesserung (nicht nur eine Verschnellerung unter Ausschaltung von Grundrechten) des Verfahrens oder ein Bleiberecht. Das ist aber auch nicht Asylmissbrauch. Wer nach dem negativen Abschluss des Verfahrens illegal im Land bleibt, ist sowieso schon "illegal". Das hat dann aber nichts mehr mit Asyl zu tun. Und wer im Asylverfahren drinnen steckt, aber aus der Grundversorgung ausgeschlossen ist und deswegen existentiell bedroht ist, und sich darauf verlassen muss, dass einzelne couragierte Menschen sich selbst in den finanziellen Ruin treiben, damit sie ein Dach über dem Kopf haben, dem wird Unrecht getan.
Und noch ein Wort zur "österreichischen Recht- und Werteordnung". In einem Leserbrief an den Falter hat Omar Al-Rawi, Vorsitzender der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, festgestellt, dass Muslime, würden sie sich ähnlich wie "die Christen" im Wahlkampf äußern, von ALLEN Seiten zurgerufen werden würde, dass sie zurück in ihr primitives Heimatland gehen sollen. Bei den Christen, und bei der hinteren Reihe von FPÖ und BZÖ - interessiert das niemanden, am allerwenigsten die ÖVP.

Bis dahin war alles nachvollziehbar, bis dahin schien es so, als wären sich Grüne und ÖVP, oder zumindest Finanzminister Molterer und ehemaliger Wirtschaftsprofessor Van der Bellen, näher, als die SPÖ vielleicht dran ist. Allein schon wegen der Mehrwertsteuersenkung, die die Grünen vehement ablehnen. Die Diskussion war sogar informativ: Molterer steht zur Dreisäulenstrategie aus staatlicher ASVG, betrieblichen Pensionskassen und der privaten Zukunftsvorsorge, und er will die letzten beiden durch eine Stärkung der Finanzmarktaufsicht und durch ein Einsetzen für strengere Regeln im "weltweiten" Kapitalmarkt sicherstellen. Über Grasser wird in dieser Partei nicht mehr geredet, die Neoliberalen Yuppies sind in andere Parteien bzw. in erfolglose private ventures ausgelagert worden. Molterer betont überhaupt die Stabilität, die Nachhaltigkeit - in diesem Bereich bloß keine Angst machen, was fast soweit geht, dass er meint, es wäre eh alles in Ordnung (weil Österreich mehr mit Osteuropa verbandelt ist als mit den USA). Das ist politisch keine gute Idee, den Menschen zu erzählen, es ginge ihnen in Wirklichkeit besser, als sie sich fühlen. Was für die Pensionisten getan werden kann, "hängt davon ab, ob die Vernunft obsiegt". Jetzt ist es natürlich so, dass die ÖVP nicht grundsätzlich eine "vernünftigere" Budgetpolitik fahren würde, sie gibt das Geld nur für andere Dinge aus, und allzu weit wird Molterer mit der Strategie des Sparens bei einer ängstlichen Bevölkerung auch nicht kommen. Was aber zum Glück sein Problem ist, nicht meines.

Bei den Schulen gibt es natürlich auch Unterschiede: die propagierte "Wahlmöglichkeit" der ÖVP ist eine Illusion, Wahlmöglichkeit wäre, wenn sich Eltern aller Einkommensschichten, die ihre Kinder gut kennen, gut überlegen, ob ihr 10jährges Mädchen oder Bub jetzt geeigneter für eine Hauptschule oder für eine AHS ist. Tun sie aber nicht. Sie überlegen, wie das bei ihnen damals war, ob sie es sich leisten können, ihr Kind bis 18 oder noch länger durchzufüttern, ob die Familie das gut findet, wenn das Kind Tischler und nicht Arzt werden will, wie viel ihr Kind später verdienen wird, welche Aussichten es hat. Das hat nichts mit individueller Begabung des Kindes zu tun, genau so wenig, wie die Noten eines Kindes in der Volksschule aussagekräftig darüber sind, ob es mit 18 die Mathematura schaffen wird. Das wird auch das von der ÖVP angedachte einjährige verpflichtende Kindergartenjahr nicht ändern, dann müssten ja jetzt schon alle Kinder, die in den Kindergarten gegangen sind, gegenüber denen, die das nicht getan haben, riesige Vorsprünge haben.
Ich weiß, als Schülerin war ich dezidiert gegen die Ganztagsschule, weil mir der Freiraum nach der Schule so wichtig war, dass ich da tun konnte, was ich will, und auch alleine, wenn ich will, nicht unbedingt ständig umgeben von Leuten, wo es allein mengenmäßig unmöglich ist, mit allen gut zurechtzukommen. Andererseits stimmt es natürlich, dass es vielleicht nicht schlecht wäre, Jugendlichen in dieser Freizeit gut organisierte und sinnvolle Aktivitäten anzubieten, Sport und Musik und Kunst und Nachhilfe und so weiter. Da bin ich unentschieden. Und ich maße mir auch nicht an, eine Entscheidung zu treffen, was besser ist, weil da die Lebensrealität von SchülerInnen und ihren Eltern einfach meilenweit auseinander liegt.

Übrigens: die Grünen sind nicht für ein Grundeinkommen, das hat Van der Bellen als deutliche Unterscheidung zum LIF angegeben, weil es 60 Milliarden Euro kosten würde. Das wird viele junge Menschen enttäuscht haben, die bis jetzt der festen Überzeugung waren, dass sie genau das wählen werden, wenn sie Grün wählen. Doch aber eine Sockelpensin, unabhängig vom Erwerbsleben, weil 70jährige die zu wenig Pension haben ja nicht einfach wieder zu arbeiten beginnen können, um ihre Existenz zu sichern. Molterer nennt das "Einheitspension": ist es aber natürlich nicht, denn zur Sockelpension käme dann ja noch erwerbsabhängige ASVG und Privatvorsorge dazu.

Diese Punkte klingen alle nicht so furchtbar. Aber: mit diesen diskriminierenden, nur rhetorisch knapp vorbei an hetzerischen Standpunkten, die so tief in die Integrität und Würde von Individuen eingreifen, sollte die ÖVP eine 10-Prozent-Partei sein, keine Partei, die sich als "Volkspartei", als DIE eine staatstragende Partei Österreichs sieht. Das ist nicht konservativ, sondern radikal. Werdet euren rechten Flügel los, sonst gibt es für euch keine Zukunft mehr.

[und ja, so sieht das ungefähr aus, wenn ich wirklich wütend bin. Und mich persönlich angegriffen fühle.]

6 comments:

? said...

Thanks for leaving a comment. I guess thats politics for you. Even if the position of the Greens were clear, a political position that appeals to 90% of the population is a failed political position. Politics is never about getting everyone on your side – it's about getting a majority of people on your side. I see you are a bit angry! Have you read master and margarita?

flame gun for the cute ones said...

I realize that it's not about getting everyone on anyone's sides, but there are ideologic position that discriminate against people, make their lives miserable, and aren't even based on reason but on sheer ignorance, arrogance and in some cases probably even hatred. I don't see why I have to consider every possible opinion as having to be represented in the political system. In the case of the party I critisized in that post (and I am far from agreeing completely with one single party, don't get me wrong) I just see a problem with their attempt to position themselves "in the middle" - which they always do in arguments - and then take far right positions on topics that concern family politics, which go so deeply into everyone's private life. I can deal with political parties representing different economic interests, but I don't have to accept that they discriminate on the basis of ideology.
Do you follow Austrian politics? I usually write about a lot of other topics as well, but right now, it seems to be all I can focus on.

? said...

I agree with you and yes, I do follow international politics which obviously includes Austria. Why do you ask? You ,ust be very talented and I love the way you write. I really do.

flame gun for the cute ones said...

Thank you very much for the compliment! I hope you stick around, I enjoy reading your blog and your comments!

Georg Pichler said...

Danke für den großartigen Beitrag. Schade, dass ich ihn nicht schon früher gefunden hab ;)

flame gun for the cute ones said...

Huch, ich bin auf einer Blogroll! Dankeschön! Da das hier manchmal wirklich ein sehr persönliches Tagebuch ist, und ich über Politik schreibe, ohne die größtmögliche (es ist eh immer nur eine Annäherung...) Objektivität anzustreben, hab ich mich wahrscheinlich nicht sehr darum bemüht, "gefunden" zu werden (ich finde es sehr charmant, zufällig gefunden zu werden). Trotzdem, vielen Dank, ich lese euer Blog regelmäßig und mit großem Interesse!