Thursday 11 September 2008

"Rassistische Wachteleipaarläufer" vs. "Marxistische Multi-Kulti-Heimatverräter"

Diesmal habe ich länger gebraucht. Aus zwei Gründen: erstens brauchte ich alle paar Minuten eine kurze Pause, sonst hätte ich nachher vom Zähneknirschen und mich-winden einen Krampf bekommen (gefühlsmäßig ging es Van der Bellen genau so), zweitens weil sich natürlich ganz grundsätzlich die Frage stellt, ob man sich mit diesem Aspekt des Wettkampfs überhaupt auseinander setzen sollte: Inhaltlich sind die Gespräche selten ergiebig, und dass die vorgespielten Differenzen oder Beteuerungen, mit diesem oder jenen auf keinen Fall (aus politischen UND aus moralisch-persönlichen Gründen) eine Koalition bilden zu können, nach den Wahlen schnell wieder vergessen sind, weiß auch jeder potentielle Wähler.

Die Ausgangssituation für das Treffen der "unterschiedlichsten Spitzenkandidaten, die man sich vorstellen kann": Die FPÖ verhandelt mit der SPÖ um Bedingungen, wie deren Mehrwertsteuersenkung im Parlament unterstützt werden könnte. In den letzten Tagen in den Medien: Die Idee, dass eine solche "treffsicher" (unser Schlagwort Nummer 1) wird, wenn Luxuslebensmittel ausgenommen werden, bekannterweise ernährt sich der gehobene Mittelstand ausschließlich von Kaviar. Es geht also um eine themenbezogene Zusammenarbeit der SPÖ und der FPÖ im Parlament - von den Gesprächen kann man jetzt Rückschlüsse auf mögliche Koalitionen schließen oder nicht, unter Umständen will Faymann auch vermeiden, dass er am Abend des 28. Septembers plötzlich als stimmstärkste Partei dasteht und für diesen Fall noch keine Vorkehrungen getroffen hat, wie Gusenbauer vor zwei Jahren.
Sowohl die FPÖ als auch die Grünen haben in den letzten Tagen Stimmen verloren. Im Falle der Grünen ist die Interpretation recht einfach: das LIF sammelt erfolgreich. Das BZÖ profitiert unter Umständen, dass sich Strache bisher bei den TV-Diskussionen nicht durchsetzen konnte, aber was Umfrageergebnisse und die FPÖ betrifft, muss man immer kritisch sein - von wegen "sozial erwünscht" und so.
Van der Bellen beginnt also: Wachteleierkoalition - wenn jene Wähler, die zwischen SPÖ und Grünen schwanken, vermuten, dass die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ in Erwägung zieht, sind das gewonnene Stimmen für die Grünen. Die Gegenvorschläge zu einer Mehrwertsteuererhöhung sind schon bekannt, Gratiskindergarten, Öffis gratis für SchülerInnen und StudentInnen, Kesselaustauschprogramm um von der Öl- und Gasabhängigkeit (später meint er elegant, "Pellets statt Putin") loszukommen. Strache nennt das ein "marxistisches Modell". Wie viele Prozent der Österreicher haben eigentlich wirklich Angst vor einer Wiederauferstehung des bösen Kommunismus? Vielleicht unterschätze ich das Potential.

Was lässt sich noch sagen? Von da an gings bergab. Thurnher fragt nach "Religion". Strache sagt, er glaubt an Gott, und geht mit seinen serbischen nationalistischen Freunden auch gerne in die Kirche, aber er mag keine Minarette, die "Siegessymbole" sind. Er sollte mal in eine spanische Kirche gehen, dort finden sich herzerwärmende Statuen von alten Männern, die kleinen schwarzen Kindern die Hände auf den Kopf legen um ihnen die "europäisch-christliche Tradition" beizubringen.
Aber - wie reagiert Van der Bellen auf die Frage, wie man besorgten Gemeinden beibringt, dass Moscheen keine Bedrohung sind? Wie antwortet man auf diese Frage, ohne von "irrationalen Ängsten" oder "tiefverwurzelter Intoleranz" zu sprechen? Die Antwort: Vor zweihundert Jahren durften gefährliche evangelische Christen auch keine Kirchtürme bauen.
"Es geht darum, wer die künftigen fünf Jahre bestimmt - Vizekanzler Strache oder VdB"
(Van der Bellen als "Marke" VdB aufzubauen halte ich übrigens für einen Irrweg des Grünen corporate designs, da laufen genau so viele Wähler davon weg wie vielleicht neu dazukommen).

Natürlich geht es darum. Es geht darum, wer die drittstärkste Partei ist, wer Volksanwalt und dritten Nationalratspräsidenten stellt, wie die Mehrheiten in Österreich verteilt sind, welche Art von Agitation inzwischen schon massentauglich ist, wie abgestumpft man inzwischen schon gegenüber Argumenten ist, die in andern Ländern oder vor ein paar Jahren entsetzt als rassistisch und fremdenfeindlich kritisiert worden wären, aber inzwischen schon so sehr zum Mainstream gehören, dass sie sogar schon von "Parteien der Mitte" verwendet werden. Es geht darum, dass eine Partei, die am rechten Rand steht, allein schon deswegen politische Macht ausübt, weil sie andere Parteien dazu bewegt, ihre inhaltliche Ausrichtung zu ändern. Es geht darum, dass die gebildete Öffentlichkeit keinen Weg findet, glaubwürdig zu kommunizieren, dass die Statistiken gefälscht und die Antworten falsch sind. Wenn ich meinem poltischen Gegner "Heimatverachtung" vorwerfe (wegen einer missglückten Aktion gegen Nationalismus der GAJ) und das keine Impulse mehr auslöst, die vor nationalsozialistischer Rhetorik warnen.
Dieser Strache ist ja noch die gemäßigte, auf ein breites Publikum zugeschnittene Variante - dass dahinter offenbar ein wachsender Ideologieapparat steht, dass Verbindungen zu anderen rechtsradikalen Parteien in Europa geknüpft werden, dass, wenn die SPÖ nach einem Wahlgewinn eine Koalition mit einer Pröll-geführten ÖVP eingeht, die FPÖ bei den nächsten Wahlen vielleicht tatsächlich an die 30 Prozent haben könnte....das macht mir Angst. Es macht mir Angst, weil ich keine Ideen habe, wie eine solche Situation vermieden werden könnte, weil ich das Gefühl habe, dass kaum jemand eine Idee hat, wie man damit umgehen könnte, weil ich manchmal das Gefühl habe, in einer Parallelwelt zu leben, in der sehr viele Dinge selbstverständlich sind, und ich dann überhaupt nicht damit umgehen kann, wenn sie für andere Menschen ÜBERHAUPT nicht selbstverständlich sind.
Und nein, ich nehme das nicht ZU ernst, verdammt, ich glaube, man kann das gar nicht ernst genug nehmen.

No comments: