Wednesday 22 July 2009

Sag alles ab

Im Rahmen der Ringvorlesung "Kapitalistischer Realismus", veranstaltet vom Institut für Soziologie der Universität Wien, hielt der hier bereits zitierte Ulrich Bröckling einen Vortrag, in dem er nicht nur das Wesen des "unternehmerischen Selbsts" diskutierte, sondern auch mögliche Widerstandsstrategien gegen diesen Appell, sich selbst ständig zu verbessern, sich selbst als Ganzes zu Markte zu tragen, statt nur die Arbeitskraft einzusetzen um ein Auskommen zu erwirtschaften. Widerstandsstrategien gegen einen Kapitalismus, der die Künstlerkritik absorbiert hat und somit vom Subjekt verlangt, ständig kreativ, flexibel, und innerhalb der Grenzen, die man wegen fehlender Schulung kaum noch wahrnehmen kann, frei zu sein. Alle Vorträge der Vorlesung sind hier als Podcast herunterladbar: trotz schlechter Audioqualität lohnt sich die Mühe. Auf jeden Fall greift das auf viele vereinzelte Gedanken zurück, die vor etwa zwei Jahren begonnen haben und die ich in Tocotronics "Sag alles ab" auf "Kapitulation" gut zusammengefasst fand. In einer Zeit, in der ich ständig damit konfrontiert bin, ins Ausland gehen zu müssen, um meinem Lebenslauf eine neue Zeile hinzufügen zu können, bin ich an diesen Ort gebunden. Ich sorge mich um meine Familie. Ich bin verfügbar, und das ist auch gut so, weil es MIR gut tut, diese Verantwortung zu haben, und weil es absurd ist, in einer komplett überalterten Gesellschaft mit zurückgeschraubten Sozialleistungen zu erwarten, dass die Jungen ihre Eltern und Großeltern verlassen, um im Ausland irgendwelche schwammigen Qualifikationen zu erwerben, die sich als Schlagwort gut machen.
Ein möglicher Widerstand wäre zum Beispiel, die eigene Flexibilität und Kreativität nicht dafür einzusetzen, die bestehende Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten, sondern zu verändern, oder vielleicht sogar im Sinne einer illegalen Handlung gegen den Kern des Kapitalismus zu untergraben (Diebstahl, adbusting etc). Dass solche Handlungen in ihrer ästhetischen Form immer auch ein wenig wie Werbekampagnen ausssehen, liegt darin, dass der Kapitalismus als seelenloses Ding eben die Fähigkeit hat, alles und jeden zu absorbieren - dass er im Sinne des "finde eine Nische"-Gedankens immer nach Unterminierung als Marktnische sucht. Ich habe hier immer wieder versucht, den Slackergedanken als politischen Kampfbegriff einzuführen (mit geringem Erfolg - schließlich ist Nicht-Handeln eigentlich kein Protest, sondern Tatenlosigkeit). Wo immer appelliert wird, tätig zu sein, in Bewegung zu bleiben, sich selbst zu verbessern, ist es zumindest mal ein Anfang, stur irgendwelche Grundsätze zu verfolgen, die selben Handlungsmuster aufrecht zu erhalten und etwa eine Eigentums- statt einer Mietwohnung zu bewohnen, und sich somit zumindest auf einen Ort festzulegen. Oder sich ständig neuen Technologien zu verweigern, und stattdessen anzudeuten, dass die Alten auch ihre Vorteile hatten, ohne dabei konservativ zu werden: so hat die Kassette gegenüber dem mp3-Player etwa den Vorteil, dass man sie mit einem Cover versehen und in ein Regal einordnen kann, verborgen, überspielen. Eine Videokassette zerkratzt nicht, und man kann sie vor- und zurück spulen. Schon mal über eine Kinderbuchkassette auf Shuffle nachgedacht? Sowas prädestiniert den Nachwuchs auf jeden Fall für David Lynch-Filme, abgesehen davon empfielt sich aber das einfache Stoppen und an der gleichen Stelle weitermachen. Der Punkt: neue Technologie ist schön, un niemand will zurück in ein Zeitalter ohne Internet, wo Musik etwa noch viel mit lokaler Verankerung zu tun hat (riot grrrl ist zum Beispiel undenkbar ohne den Gedanken an den pazifischen Nordwesten, die Achse zwischen Seattle und Portland). Aber mit jeder Erneuerung geht auch etwas verloren, und es ist nicht konservativ, sich zu überlegen, wie diese Dinge zurückerobert werden könnten. Eine Verweigerung des blinden Fortschritts bloß des Fortschritts wegen oder nur, damit jeder alle paar Jahre das Gefühl bekommt, die eigene Musik- und Filmsammlung sei prekär, weil sie nicht auf dem neuesten Medium vorhanden ist, ist unter Umständen die einzig verbleibende Strategie. Vielleicht auch der radikale Gedanke, dass ein Job nur ein Job sein kann, dass man sich nicht im Job selbstverwirklicht, sondern in dem Raum, der nachher kommt - also Freizeit nicht als politisch irrelevante Zone des Konsums, in der höchsten die eigenen Fähigkeiten durch Sport und Entspannung geschärft und ausgebaut werden, sondern Gegenstrategien entworfen werden. Selbstverwirklichung nicht im Job, sondern durch das durch Arbeit erwirtschaftete Geld außerhalb der Einflusszone von irgenwelchen Selbstverbesserungsideologien. Damit eine Demokratie funktionieren kann, braucht es Bürger, die Raum und Zeit haben, sich mit den eigenen Bedürfnissen und Lebensumständen auseinanderzusetzen.

Was bei diesem ganzen Scheiß natürlich immer im Hintergrund läuft, ist der Fakt, dass ich mir zwar wahnsinnig viele Sogen um die Zukunft, aber nie darüber, woher das Geld für den nächsten Einkauf kommt, machen muss. By the way: eigentlich geht es mir immer nur um gute Geschichten, und ich habe die Geschichten über persönlichen Erfolg durch Zielstrebigkeit und Arroganz ziemlich satt.

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