“La Femme Nikita” ist ein gutes Beispiel für eine Serie, die ihren Ursprung in den Konventionen und Produktionsbedingungen der späten Neunziger Jahre genommen hat. In einer Zeit, in der erfolgreiche Serien häufig mehr als bloß drei Staffeln und 13 Folgen pro Staffel schafften, und damit die Charakterentwicklung über eine lange Zeit hinweg betreiben konnten, verband „La Femme Nikita“ Elemente des Spionagethrillers (Jahre von „Alias“ und „24“) mit tiefgreifenden Fragen nach Identität, Freiheit, dem freien Willen und der Möglichkeit von Liebe in einer Umgebung, in der alles Lüge und Illusion ist. „La Femme Nikita“ ist aus vielen Gründen immer noch spannendes und relevantes Material: einerseits ist es eine der ersten Serien, die sich mit den dunklen Seiten der Terrorbekämpfung auseinandersetzte (die fünfte und letzte Staffel endete vor dem 11. September 2009), andererseits ist auch ein Vergleich mit Joss Whedons „Dollhouse“ interessant, eine Serie, die mit umgedrehten Produktionsbedingungen konfrontiert ist und gleichzeitig ähnliche Themen abarbeitet, nur eben unter dem Licht von Zeitmangel, extremer Verdichtung und Intensivieriung des Storytellings.
„La Femme Nikita“ ist auch spannend, weil die Serie auf existierenden Charakteren basiert. 1990 drehte Luc Besson den Film „Nikita“ mit Anne Parillaud in der Hauptrolle. Eine junge Frau, drogensüchtig, wird durch eine unglückliche Verwicklung des Mordes angeklagt und verurteilt - statt hingerichtet zu werden, wird sie von einer geheimen Organisation rekrutiert, die sie zur Attentäterin ausbildet.
Eine Serie bietet mehr Spielraum, um Charaktere zu entwickeln und den Hintergrund auszuleuchten. Nikita gerät zuerst an Michael (Roy Dupuis), ihren "Handler", mit dem sie allerdings kein einprogrammiertes Vertrauensverhältnis verbindet. Die Machtbeziehung zwischen den beiden hängt vor allem damit zusammen, dass mit dem Eintritt in Section 1jede Form der Realität und Wahrheit in Frage gestellt werden muss: Section, die „most clandestine“ Organisation, basiert auf Lüge und Manipulation, die Operatives werden unter der ständigen Androhung, „gecancelt“ zu werden, unter Kontrolle gehalten. Nachdem Nikita die Grundausbildung absolviert und ihren Wert für die Section unter Beweis gestellt hat, bekommt sie wenigstens Fragmente eines normalen Lebens zurück: Eine Wohnung, in der jederzeit das Telefon läuten kann, und sie nach dem Codewort „Josephine“ für Anschläge zur Verfügung stehen muss. Die physische und psyschiche Kontrolle der Operatives durch die Section zeigt sich in vielen Details: einerseits wird die Wohnung durch Kameras überwacht, andererseits wird die Leistungsfähgikeit und die Bereitschaft, blind und ohne zu hinterfragen auch moralisch fragwürdige Befehle zu befolgen, ständig überprüft.
Was ist Freiheit? Der Zuseher bekommt keinen Einblick in Nikitas Kopf, aber sie versucht stur immer wieder, Wege nach draußen zu finden. Sie kämpft um ihre Freiheit, sie etabliert kleine Freiräume, die sie für sicher hält. Die Beziehung zu Michael gehört dazu: sie weiß nichts von ihm, und jedes gezeigte Gefühl bedeutet eine Bedrohung für beide: Gleichzeitig wissen beide nicht, ob sie einander vertrauen können, und Michaels Emotionslosigkeit lässt auch den Zuseher zweifeln, ob er tatsächlich daran arbeitet, frei zu kommen, ob er Nikita befreien wird. Seine Prioritäten sind unklar. In der zweiten Staffel erfahren wir gemeinsam mit Nikita etwas über seinen Hintergrund: er war radikaler Studentenführer und wurde als einziger der Gruppe zur Verantwortung gezogen. Wie Nikita wurde dann sein Tod im Gefängnis gestellt.
Schuldige Subjekte / Rechtfertigungsmechanismen
Die Idee der „Schuld“, dass alle Operatives schuldige Subjekte sind, die durch eine in der Vergangenheit liegende Handlung ausgesetzt haben, und damit moralisch erpressbar und berechtigterweise ihrer Freiheit beraubt wurden, ist ein widerkehrendes Thema in „Nikita“, auch wenn sie immer wieder auf andere Operatives trifft, die wie sie keineswegs schuldig sind, die von Section erpresst werden. Die anderen Mitarbeiter der Section haben ähnlich verworrene Lebenswege: das Computergenie Birkoff (Technologie spielt in „Nikita“ eine Rolle, aber keine so entscheidende wie in „Dollhouse“ – aber Birkoffs uneingeschränkter Glaube an seine eigenen Fähigkeit und die Vormacht von Technologie erinnern phasenweise doch an Topher) wurde für diesen Job erzogen – er wurde in der Section geboren, er kennt kein Leben außerhalb, er hat keine anderen Möglichkeiten.
Madeline, die strategische Beraterin, ist eine der beängstigenden Charakteren: während sie das Gefühl von Sicherheit und Verständnis erweckt, ist sie tatsächlich für die psychologische Folter verantwortlich, die aus Gefangenen der Section wertvolle Informationen herauspresst. Wie alle anderen Mitarbeiter der Section wird von ihr erwartet, ohne zu zögern zu töten, egal, ob das Opfer schuldig oder unschuldig ist. Im Kampf gegen den Terrorismus werden häufig unschuldige Zivilisten geopfert, und das „greater good“ ist der Berechtigungsmechanismus, allerdings steht die Selbsterhaltung der Section nicht selten noch vor dem greater good.
Innocence / „you don’t own my soul“
Ein widerkehrendes Thema in vielen Luc Besson Filmen ist die Erhaltung der „Unschuld“ einer Protagonistin, die durch verschiedene Umstände in eine kompromittierende Position kommt, und (manchmal durch die Hilfe eines männlichen Helden) davor bewahrt wird, zur Mörderin zu werden. Die Verbindung aus kindlicher Unschuld und Rachsucht spielten sowohl in „Leon – Der Profi“, als auch in „The Fifth Element“ eine entscheidende Rolle. In der Serie „La Femme Nikita“ ist die Verwicklung Nikitas in die Section ein Prozess der Entscheidungen gegen ihre eigenen Moralvorstellungen. Zuerst ist sie unwillig, irgendjemanden zu töten, auch wenn dies aus Selbstverteidigung geschieht (am Ende der ersten Folge tötet sie, um Michael zu retten) – und später wird von ihr verlangt, Unschuldige zu töten. Irgendwie schafft sie es aber doch, nur „Schuldige“ zu töten (wenn sie auch in der zweiten Staffel eingestehen muss: „I’ve lost count“), und als sie in „New Regime“ unter einem neuen Operations in Madelines Position befördert wird, beweist sie, dass ihre die entscheidenden Qualitäten fehlen, die diese auszeichnen (also, so das Argument, ist die moralische Unterwanderung und Unterdrückung nicht abgeschlossen). Am Ende der ersten Staffel schafft sie mit Michael Hilfe eine Flucht, kehrt aber seinetwegen zurück (der Zuseher weiß nicht, ob all das bereits Kalkulation seinerseits war – denn innerhalb der Section kann er seine Gefühle nicht zeigen, und sie lernt, ihm zu misstrauen). Nachdem ein freies Leben außerhalb der Section jetzt auch nicht mehr möglich ist, muss sie von innen an ihrer Befreiung arbeiten.
Bereits in der zehnten Folge der ersten Staffel wird ein Begriff eingeführt, der immer wiederkehrt: Nikita, die sich in den vorgegebnen Lebenslauf angepasst hat, verkündet: „You don’t own my Soul“ – und das durch kleine subversive Anschläge unter Beweis zu stellen, wird zum Zentrum ihres Lebens in der section. Einige Folgen später erklärt Michael, dessen Motive aber immer in Frage gestellt werden müssen: „You’re the only one of us that still has a soul“.
Während Nikita an der Bewahrung dieser „Seele“ arbeitet, tut die Section, was in ihrer Natur liegt: Sie versucht jeden gewonnen Freiraum zurückzugewinnen, und weiter in ihr Leben einzudringen. Der Kampf um die eigene Freiheit ist ein psychologischer Stellungskampf mit einem übermächtigen Gegner, der beinahe jeden Schritt vorhersagen kann.
Operations: "There's nothing you know that we don't know first. No move you make we don't anticipate. I think you fundamentally understand this. But every once in a while you need to be remindedNikita: „Or warned”Operations: “It might seem far-fetched, Nikita, but you have a future with the Section 1. Just a reminder."
Die Zurichtung der Operatives erfolgt nicht durch Technologie, sondern durch Erpressung, moralischer Unterwanderung, der Abwesenheit von Alternativen zu vorgeschriebenem Verhalten. Section verfügt über keinen Imprinting chair, aber die Kontrollmechanismen funktionieren trotzdem. Die Spuren, die trotzdem verbleiben, sind die Grundlage für Widerstand. Echos Entwicklung in „Dollhouse“ führt von der Bewusstwerdung direkt zum Bedürfnis, alle zu befreien, nicht nur sich selbst. Auch im Falle Nikitas ist das Subjekt in der Section nicht mehr die gleiche Person, die am Anfang der Serie unschuldig verurteilt wird: die Section hat ihre Spuren hinterlassen (nicht umsonst erachtet sie ihre Operatives als formbares und enthumanisiertes „Material“ – wie die „Dolls“).
Auch in „Nikita“ ist der entscheidende Moment der Selbstfindung der, in dem Nikita ihre Ziele klar formuliert. Die Rekrutierung verlässlicher Helfer, auf die sie sich verlassen kann – hier ist Michael ein viel unsicherer Kandidat als etwa Boyd in „Dollhouse“, von dem die Zuseher und auch Echo (durch eine Kombination durch den speziellen, imprinteten „bond“ von Handler und Active und richtigem, erarbeitetem Vertrauen) wissen, dass ihre Sicherheit und Rettung sein höchsten Ziel ist. Michaels oberstes Ziel ist nicht bekannt – will er die Section zerstören? Hat er sich bereits so sehr mit ihr arrangiert, dass er sie erhalten will? Will er sie unter seine Kontrolle bringen und für seine Zwecke nützen? Meint er, dass seine Freiheit erst möglich ist, wenn die Section zu Fall gebracht wurde?
Performance / Das richtige Leben im falschen
Die Operatives der Section haben gegenüber den Actives des Dollhouses einen entscheidenden Unterschied: sie spielen Rollen, sie glauben nicht an das, was sie tun. Wenn Nikita mit Michael eine glückliche Familie spielen muss, um Zugang zu einem Terroristen zu bekommen, wird sie nicht dazu programmiert, sie muss spielen, und in genau diesen konfliktreichen Situationen kommt es häufig zu einer Kollision der komplizierten Gefühle, welche die beiden haben, und dem, was sie spielen müssen, vor allem, wenn Kommunikation unter ständiger Überwachung nicht möglich ist.
Als Boyd in „Belonging“ Echo fragt, wann sie zu lügen gelernt hat, ist das genau der Moment, in der ihre Situation der Nikitas ähnelt: sie ist sich ihrer selbst bewusst und hat ihre Ziele ausformuliert, aber jetzt muss sie spielen, um den notwendigen Freiraum für die Verwirklichung zu gewinnen.
The war against terror / la fin justifie les moyens
Während wir den „purpose“ des Dollhouses noch nicht kennen, hat Section ein abgestecktes Handlungsfeld. Es ist kein gewinnorientertes Privatunternehmen sondern eine Organisation, die der Bekämpfung von Terror dient, und diesen Zweck mit allen Mitteln verfolgt. Sie ist außerhalb stattliches Zugriffs und unabhängig von Nachrichtendiensten wie der CIA. Die Operatives selbst sind wie Gespenster, die in einem Raum ohne staatliche Eingriffe, ohne Kontrolle außer der der Section agieren:
"The world outside is not really there for us. It's an illusion. We're ghosts." –Madeline
Joel Surnow, Creator der Serie, zeigte später in “24” eine affirmativere Deutung des Kampfs gegen den Terror. In Nikita schlüpft der Zuseher in die Perspektive der Hauptcharakterin, deren Moral noch weitgehens intakt ist – und sieht deswegen die Foltermethoden nicht aus der Zweckhaftigkeit des Kampfs gegen den Terror, sondern aus der Angst Nikitas davor, was passieren wird, wenn ihr Freiheitskampf fehlschlägt. Die Foltermethoden werden dabei selten gezeigt: der White Room, in dem die Gefangenen zuerst sanft von Madeline befragt werden, bevor die unheimlichen Mitarbeiter mit den orangen Koffern kommen – und dann das danach, wo die Gefangenen ohne viele sichtbaren „Marks“ gebrochen sind. Nur einmal folgt die serie Nikita in einen Raum, in dem mit Elektroschocks gefoltert wird: als die Section einen jungen Mathematiker entführt, um mit seiner Hilfe einen Code zu entschlüsseln, und dieser, geblendet von den vorhandenen Ressourcen, die ihm nirgends sonst zu Verfügung stehen würden, nicht mehr gehen will. Nikita führt ihm vor, was das für ein Ort ist: Wo Operatives wegen eines kleinen Fehltritts zuerst gefoltert und dann getötet werden. Die Section gewinnt immer.
"La Femme Nikita", 1997-2001, created by Joel Surnow (based on characters from "Nikita" by Luc Besson), featuring Peta Wilson, Roy Dupuis, Don Francks, Eugene Robert Glazer, Alberta Watson, Matthew Ferguson.
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