Saturday 7 October 2006

Neil Gaiman - American Gods

"American Gods" ist vielleicht das beste Buch, welches in den letzten Jahren über Amerika geschrieben wurde, gerade weil es ein Fantasy-Buch ist, welches nicht auf die momentane politische Situation der Vereinigten Staaten eingeht, sondern schlicht und einfach den "Geist" oder die "Seele" dieses Landes erfassen will, bzw. das Fehlen einer eigenen Identität. Neil Gaiman, der Mann, dessen Fantasie die Michael Endes noch übertrifft, geht von der Prämisse aus, dass jeder Einwanderer, der jemals in die USA gekommen ist (er geht dabei natürlich nicht vom Ausgangspunk Kolumbus aus, sondern weiter zurück zu den Wikingern, zu den asiatischen Völkern, welche die Beringstraße überquerten), seine eigene Götterwelt mitgebracht hat. Die Macht dieser Götter hängt davon ab, wie viele Menschen sie verehren – konsequenterweise finden sich Odin, Loki, Czernobog, Anansi, Eostre, Kali, Thoth, Anubis, Horus, Bast und zahlreiche andere im 21. Jahrhundert zu skurrilen Gestalten reduziert, deren Macht längst verblichen ist und der der neuen Götter (Media, Internet, Television) bei weitem unterlegen ist. Im Zentrum des Romans steht aber kein göttliches Wesen, sondern Shadow, ein ehemaliger Sträfling, der nach dem Tod seiner Frau Laura früher entlassen wird und eigentlich ein normales Leben führen will, aber von einem geheimnisvollen Mann namens Wednesday, der sich später als nordischer Göttervater Odin entpuppt, angeheuert wird. Odin will die alten Götter versammeln, um eine letzte, apokalyptische Schlacht gegen die neuen Götter zu führen – und während Shadow versucht, sich ein normales Leben aufzubauen, verwickelt er sich immer weiter in diesen Konflikt der Götter, und erkennt erst am Ende, dass er Teil eines Spiels geworden ist, das weniger ehrenhaft ist, als er geglaubt hat.
Gaiman verdient all die Awards, die sein Buch gewonnen hat, allein schon deswegen, weil er ein Buch über amerikanische Götter geschrieben hat, in dem die Weltreligionen nicht vorkommen. Die Götter, die hier im Zentrum stehen, sind die alten, denen Blutopfer gebracht wurden, die eher dem Aberglauben zugehörig waren als irgendeiner großen, organisierten Weltreligion. Sie sind subtiler, ebenso wie die neuen Götter, mit denen sich Shadow konfrontiert sieht. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der Odin früher Menschenopfer gebracht wurden, sehen die Menschen heutzutage fern, benützen das Internet. Shadow ist ihnen ausgeliefert, bis er entsprechend der meisten Mythologien sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Der Engländer Gaiman hat hier ein betäubendes Bild von jenen Regionen Amerikas gezeichnet, die sonst nur selten im Mittelpunkt der Erzählung stehen – winzige Orte, merkwürdige Attraktionen. Dieses Buch sollte von all jenen Menschen gelesen werden, die von amerikanischem Patriotismus sprechen, ohne sich jemals Gedanken darüber gemacht zu haben, was dieses Land eigentlich ist.

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