Friday 29 September 2006

Thomas Glavinic - Die Arbeit der Nacht

Wenn man selbst eineinhalb Jahre an einem Buch laboriert, welches hauptsächlich von Douglas Couplands "Girlfriend in a Coma" beeinflusst ist, und wenn man davor auch Marlen Haushofers "Die Wand" gelesen hat, und wenn die männliche Hauptfigur im neuen, noch in Entwicklung befindlichen Roman Jonas heißt, beginnt man sich zu fragen, wer draußen herumgeht und Gedanken stiehlt.
Man kauft, neugierig, weil das Zusammenbringen von Glavinics "Wie man leben soll" mit diesem tragisch und dramatisch klingenden Roman eher schwer fällt. Jonas ist ein typischer 35jähriger, der in Wien lebt, und eines Tages wacht er auf und alle anderen Menschen sind verschwunden, Tiere gibt es auch nicht mehr. Wie bereits gesagt, als amerikanisch geprägter Mensch dachte ich an Couplands Roman, obwohl die Parallelen mit Haushofer eigentlich näher liegen. In Coupland geht es um ein Gruppengefüge, das in dieser extremen Situation immer noch versucht, eine normale Welt aufrecht zu halten, anstatt die entscheidenden Fragen zu stellen. Am Ende gibt es Antworten, Erklärungen, Lösungen. In Haushofers Hauptwerk gibt es nichts davon, nur anfängliche Hoffnungslosigkeit und die letztendliche Konsequenz, dass wenn der Mensch des Menschen Wolf ist und die anderen die Hölle sind, vielleicht der einsame Mensch erst richtig glücklich und erfüllt sein kann.
Diese Konsequenz kann Glavinic natürlich nicht ziehen. Jonas fährt wie betäubt, wie im Schock, in Wien und in Österreich herum. ER wird paranoid, da sein schlafwandelndes Ich offensichtlich andere Pläne für ihn hat und ihn schließlich sogar in einen Kofferraum sperrt. Er stellt Kameras in ganz Wien auf, läuft Amok, geht durch den Tunnel nach England, um dort Dinge zu finden, die seiner Freundin gehörten. Und am Ende gibt es keine Lösungen, sehr wohl aber die Konsequenz, dass ein Mensch ohne andere Menschen nicht leben kann, da er sich soweit von sich selbst entfernt, dass ein Auskommen, ein Überleben, einfach nicht mehr möglich ist.
Im Vergleich zu "Die Wand" wird Glavinics Talent sichtbar. Er gibt sich nicht mit den Dingen ab, die irgendein anderer Schriftsteller mit diesem Stoff unvermeidlich angestellt hat: er verliert sich nicht in Jonas Gedankenwelten. Das Buch ist nicht langweilig, es zieht sich nicht, liest sich eher wie eine Inhaltsangabe. Die Handlung ist in kurzen Sätzen gerafft, die das eigene Zeitempfinden vollkommen durcheinander bringen, geht man als Leser doch mit der Vermutung in diesen Roman, das jede einzelne Minute dieses Alleinseins detailliert ausgerollt werden wird. Statt dessen lässt Glavinic seinen Helden wie einen Getriebenen in der leeren Welt herumirren, an sich selbst verzweifeln. Dies ist ein durch und durch eigenständiges Werk eines Schriftstellers, dem durchaus zu Recht immer mehr Beachtung geschenkt wird.

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