Seit Anfang des Jahres geht ein Rauschen durch den Blätterwald der anspruchsvollen Presse, und es verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Journalisten machen einen eintägigen Abenteuerurlaub in Second Life und berichten dass, was ihnen dort passiert ist. Aber ein Problem kristallisiert sich heraus: sie wissen nicht recht, was sie darüber schreiben sollen, oder wie sie begründen könnten, dass sie überhaupt darüber schreiben.
1. SECOND LIFE ist wie das richtige Leben. Um jemand zu sein, braucht man Geld. Nur, wer Geld besitzt, kann gestalten.
2. SECOND LIFE ist ein durchkommerzialisierter Wirtschaftsraum, in den die Großkonzerne der richtigen Welt erfolgreich eingedrungen sind, als sie erkannt haben, dass Statussymbole real und fiktiv die gleiche Wirkung haben, solange sie nur herzeigbar sind.
3. Gleichzeitig bleibt natürlich auch Raum für die kreative Selbstverwirklichung einzelner Nutzer, wobei der Zukunft hier, obwohl er Kapital braucht, immer noch leichter ist als in der realen Wirtschaftswelt.
Grundsätzlich hat Second Life zwei verschiedene Komponenten: einerseits erfüllt es das Paradigma der meisten unter dem Begriff "Web 2.0" zusammengefassten Anwendungen, es ermöglich social networking, nur in diesem Fall visuell orientiert, nicht textlich wie zum Beispiel Blogs oder MySpace. Second Life immitiert das Real Life. Andererseits ist die zweite Komponente die Gleiche wie bei MySpace: Man will entdeckt werden und das eigene Leben in Kapital verwandeln. Chuck Palahniuk argumentiert in Non-fiction, dass auch wegen des Internets (wobei er hauptsächlich von den Screenplay-Writern in Hollywood spricht) das eigene Leben zum Kapital wird, das es zu verwerten gilt. Einerseits kann man auf Second Life als Künstler kreativ sein, als Musiker, Maler oder Journalist arbeiten, aber das große Geld steckt in den Immobilien.
"ökonomisch [ist second life] inzwischen eine Erweiterung der realen Wirtschaft" (Die Zeit zitiert Edward Castronova)
Aber was bedeutet das, wenn ein gesamter Wirtschaftsraum wortwörtlich einer Firma gehört, die gesamte Realität vom Gutwillen des Lindenlabs abhängt? Ist das nicht eine Blase, die früher oder später platzen muss, oder noch schlimmer, birgt dieses ultimative Monopol nicht viele Gefahren in sich, die diskutiert werden müssen?
Denn Second Life ist kein Wirtschaftsraum, der sich durch Angebot und Nachfrage reguliert, die einzige nicht künstlich knapp gehaltene Ressource wird von Lindenlab verwaltet und verteilt (Grundstücke).
So reproduzierten sich hier auch die Ungerechtigkeiten der realen Wirtschaftswelt. Unternehmer benützen billige Arbeit von Nutzern aus ärmeren Ländern, die Objekte liefern, welche dann an reiche Nutzer verkauft werden. Digitale Sweatshops, gewissermaßen. Somit ist Second Life kein anarchischer, freier Raum für Kreative mehr, sondern ein kapitalistischsicher Raum, der die gleichen Ungleichheiten erzeugt wie der reale Kapitalismus. Second Life ist nicht demokratisch. Es ist kein hoffnungsvolles Zukunftsmodell.
Als ich versuchte, in Second Life einzusteigen, scheiterte ich: Meine Grafikkarte war nicht gut genug. Was das über die Zugangsbeschränkungen dieses neuen Raumes aussagt, kann sich jeder selbst denken.
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