Sunday 22 April 2007

300

Die Kritiken, die nach diesem Filmstart jedes Medium überfluteten, und es dieses Wochenende sogar in das Standard-Album geschafft haben, bereiten den Zuseher umfassend auf das ihm bevorstehende Erlebnis vor. Da ist davon die Rede, dass man alles vergessen muss, was man über Ideologiekritik gelernt hat, dass man jeglichen Sinn für political correctness runterschlucken muss, bevor man sich den Film ansieht. Im Ansatz wurde schon "Lord of the Rings" nach diesem Ansatz zerlegt, der im Prinzip besagt, dass hier die blonden, intellektuellen Elben auf wilde, hässliche Orks treffen, um am Ende das Reich der Dunkelheit zu besiegen. Der Comic, den Zack Snyder (und wenn man den Kritikern, die beides kennen, recht werktreu) verfilmt hat, stammt von Frank Miller, der bereits die Vorlage für "Sin City" von Robert Rodriguez geschrieben hat. Im Gegensatz zu Alan Moore geht es Frank Miller nicht um die Kritik an einem System, sondern um etwas anderes, was zugegebenermaßen auch zum Urgestein der Comic-Intentionen gehört: Heldentaten. Den Rahmen gibt die Geschichte vor. 300 Spartaner unter der Führung von König Leonidas kämpfen gegen das gewaltige Heer der einfallenden Perser. Im wahrsten Sinne des Wortes treffen zwei Kulturen aufeinander:
Die Perser sind ein riesiges, "multikulturelles" Reich, geeint unter dem Gottkönig Xerxes, der verstanden hat, wie Imperialismus funktioniert: nicht das Auslöschen der Feinde, sondern das Einfügen in sein eigenes Reich, ohne unbedingt alle kulturellen Eigenheiten auszulöschen. Miller übersetzt dieses Ansinnen damit, dass Xerxes Armee aus Degenerierten, Monstern und allerlei anderer dekadenter Gruppen besteht, die noch dazu über die High Technology (wie Slavoj Žižek sie in seiner Standard-Replik auf die Kritik bezeichnet) verfügt, wie Elefanten und Waffen, die aus der Entfernung töten.
Die Spartaner sind das genaue Gegenteil. Eine Elitetruppe, gestählt durch eine Ideologie, die den Bürgerstatus an die willenlose Aufopferung für das Land, Gott und die Familie knüpft. Am Anfang des Filmes steht der erste Schock, der schwer zu Überwinden ist, da der Zuseher der Perspektive nach für die Spartaner und gegen die Perser sein muss: Kinder, die nicht der spartanischen Norm entsprechen, werden nach ihrer Geburt "entsorgt". Jungen werden ihren Müttern weggenommen und mit einer Gewalt zu Soldaten gestählt, die kein Erbarmen kennt. In der spartanischen Ideologie führt dies zur Freiheit, die, wie die Königin (gespielt von einer Lena Headey, die mehr als nur einmal wie Claudia Black aussieht), "nicht frei ist". Die Frage danach, ob sich die Bewohner Spartas frei für dieses Leben entschieden haben, wird überhaupt nicht gestellt, und dass diese Identität gegen Einfallende verteidigt werden muss, wird ebenfalls nicht bezweifelt: König Leonidas kämpft aber nicht nur gegen die Perser, sondern auch gegen die "Degenerierung" von Sparta selbst. Die anderen Griechen, die Athener, werden als schwächliches Volk aus Künstlern dargestellt, und die Vorform der Demokratie, die sich in Sparta neben dem Königshaus etabliert hat, spielt den Persern in die Hände, da sie bestechlich ist und aus vergeistigten Intellektuellen besteht.
Žižek wirft den linken Intellektuellen vor, den Film deswegen abzulehnen, weil für sie "Disziplin und Opfergeist" bereits im Vorhinein "von Natur aus faschistisch" seien, sie also bereits davon ausgehen, dass jede Staatsform, die dies von ihren Bürgern verlangt, abzulehnen ist. Natürlich kann man auf "300" nicht die Schablone Irakkrieg anwenden, denn hier kämpft tatsächlich nicht der aufgeklärte Westen (auch wenn diese Interpretation scheinbar möglich ist, da Leonidas den Aberglauben der Priester ablehnt und immer wieder die Vernunft als allerhöchstes Gut bemüht) gegen die verrohten Perser, sondern eine Gesellschaft, die in dieser Form schon längst überholt ist, da sie sich stur von jeder Art von Veränderung abgekapselt hat, gegen einen einfallenden Multikulturalismus, der sogar in diesem so einseitigen Film nach mehr Spaß aussieht als das, was die Spartaner den ganzen Tag lang machen. Spaßgesellschaft gegen Disziplin? Auch das trifft nicht unbedingt zu, denn der Film widmet der spartanischen Kultur eigentlich nicht viel Platz: ja, es ist ein Kriegervolk, aber was da eigentlich genau verteidigt wird, macht der Film nicht klar. Nicht umsonst sieht "300" so aus, als würde Leni Riefenstahl mit den technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts Amok laufen.
Wenn man nach dem Ende des Filmes das Kino verlässt, fühlt man sich alleine gelassen, da jegliche intellektuelle Kritik scheinbar an den gestählten Körpern der Darsteller abprallen muss. Der Film ist nicht für einen Diskurs gemacht, genau deswegen provoziert er ihn auch. Ist das faschistoid, oder, noch besser, ist es nicht faschistoid, nur weil die Grundintention eine andere, vielleicht sogar eine unpolitische, rein ästhetische war?

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