Wednesday 10 October 2007

Kaum ist das Sommerloch vorbei, gehts so richtig los

Jetzt ist also doch etwas überraschendes passiert: Nachdem in Österreich die traurige Kultur besteht, dass über Asylwerber immer nur dann berichtet wird, wenn sie nach der Ablehnung ihres Antrags bei der Abschiebung misshandelt werden, oder wenn sie straffällig werden, zeichnet sich seit etwa einem Jahr ein gegenläufiger Trend ab. Familien, die seit bis zu 10 Jahren in Österreich leben und vielleicht erst jetzt einen negativen Bescheid erhalten haben, weil das Verfahren eben so lange dauert, werden von ihren Dörfern verteidigt, von Bürgerinitiativen, Bürgermeistern, manchmal sogar Landespolitikern. Das ist nämlich nicht die anonyme Masse, die von der Kronenzeitung immer automatisch mit einer fiktiven Zahl von Straftaten oder anderen Vorurteilen verbunden wird, sondern Menschen, die vielleicht schon Jahre lang nebenan leben, deren Kinder in österreichische Schulen gehen, die ein anderes Leben gar nicht mehr kennen. Bei Härtefällen kann der Innenminister auf Anregung ein humanitäres Bleiberecht aussprechen - dieses ist allerdings ein Gnadenakt, kein Recht, sondern eine Herablassung.
Nun hat eine 15jährige, die mit ihrer Familie vor fünf Jahren aus dem Kosovo gekommen ist, die Initiative ergriffen, nach allen Regeln, welche die Massenmedien für die Inszenierung vorgegeben haben. Als ihre Familie abgeschoben werden sollte, tauchte sie unter, schickte eine Botschaft, dass sie sich umbringen wird, bevor sie in den Kosovo zurückgeht, da sie dort keine Zukunft sieht. Vor einigen Tagen bekräftigte sie dies in einer Videobotschaft. Eine ungewöhnliche Situation für die Politiker und vor allem für den Innenminister Platter, schon längst in seiner Rolle als Hardliner in Einwanderungs- und Sicherheitsfragen aufgegangen: hier diktieren einmal Menschen die Regeln, die sonst anonym bleiben, eine Zahl, eine Schlagzeile. Das ist eine neue Form der Selbstermächtigung, in der nicht nur über Asylwerber gesprochen wird, sondern wo diese auf einmal in Diskussionsrunden mit dabei sind. Platter, jetzt politisch unfähig, den Fall schnell durch den Gnadenakt des Bleiberechts zu lösen, muss auf leere Phrasen zurückgreifen ("Der Staat lässt sich nicht erpressen"), als wäre das Innenministerium in der Geiselhaft eines 15jährigen Mädchens, das es (bzw, dessen Helfer) einfach die Regeln der Herstellung von Öffentlichkeit verstanden haben.
Die negative Seite der Inszenierung: es fällt den Politikern leicht, diese Fälle gegenüber einer aufgebrachten (denn selbst die Kronenzeitung gibt sich schockiert) Öffentlichkeit als Einzelfälle abzutun. Dr. Jörg Haider, Landeshauptmann Kärtnens, bietet dem Mädchen an, es könnte ja nach Kärnten kommen, als Gast: Dass hinter ihr Tausende andere und ebenso verzweifelte Menschen stehen, wird mit aller Macht unterdrückt. Aber sie ist ja nicht dazu verpflichtet, für eine Gruppe zu sprechen.
Gestern Mittag, in Steyr: Ein 18jähriger Asylwerber aus Nigeria, dessen Antrag abgelehnt worden war, kündigte auf Flyern an, dass eine Rückkehr nach Nigeria seinen Tod bedeuten würde. Dann stach er sich mit einem Messer in den Bauch und wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht.

Kurier: Fall Arigona: Appelle an den Innenminister
Die Presse: Arigona Zogaj ist kein Einzelfall
Der Standard: Arigona schweigt zu Hilfsangeboten
Der Standard: Steyr: Asylwerber rammte sich Messer in den Bauch

Mehr Informationen über das Österreichische Asylrecht:

Aylkoordination Österreich
Asyl in Not

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