Sunday 27 April 2008

Kritik? Welche Kritik denn?

Ich und die Musikkritik, ein leidiges Kapitel dieses Blogs. Das Problem: Ich bin entweder begeistert und deswegen nicht objektiv, oder ich bin enttäuscht, und deswegen erst Recht subjektiv. Der Grund dafür ist einfach: Nachdem ich alleine über die Auswahl der besprochenen Platten entscheide handelt es sich immer um Lieblingskünstler - neu entdeckte, ehemalige, zukünftige. Die Bandbreite der möglichen Reaktionen auf neue Alben ist dementsprechend begrenzt. Ich kann enttäuscht sein, weil wiederum kein neuer Weg gefunden wurde und deswegen das neue Material wie das alte klingt. Das kann gut gehen oder auch nicht, und von manchen Künstlern erwartet man intuitit mehr Innovation als von anderen, von denen man eigentlich am glücklichsten ist, wenn sie in regelmäßigen Abständen das liefern, was man sowieso erwartet hätte (ich würde zum Beispiel von The Kills nicht unbedingt wollen, dass sie beginnen, wild in der Musikgeschichte herumzuexperimentieren). Ich kann enttäuscht sein, weil ein neuer Weg gefunden wurde, der mir nicht gefällt - wobei hier die Bandbreite besonders weit ist. Ich kann einen Innovationsschritt nicht mitmachen wollen, weil er bei mir keine Emotionen mehr auslöst, auch wenn er musikalisch durchaus gekonnt ist. Ich kann nicht mitmachen, weil ein Schritt in eine Richtung gegangen wurde, die mir schon von Grund auf nicht gefällt, wenn etwa ein halber Geheimtipp plötzlich massenwirksam nicht mehr französisch sondern englisch singt und ich als erste Reaktion sofort schreiben mag, "Schuster, bleib bei deinen Sohlen". Dann fühle ich mich, und das ist immer die Kehrseite des Innovationen nichtmitmachenwollens, wertkonservativ, bewahrend, oder zu blöd, um zu verstehen, was der Künstler hier von mir wollte.
Eine andere Seite: eine gelungene Innovation. Ein unerwarteter Schritt Richtung textlicher Reife etwa, wenn eine Band, die ehemals mit jugendaffinen und identitätsstiftenden Texten Worte findet, die das ganz große Ganze erfassen und beschreiben oder sogar eine Widerstandsstrategie dagegen formulieren, die dann leider an jeder Wand steht und somit wiederum ihre Bisskraft verliert Eine gelungene musikalische Innovation, wenn etwas deswegen zurückgelassen wird, weil man es unheimlich findet, wenn allzu viele Hörer die eigene Musik bloß noch als Hintergrunduntermalung für Sex verwendet haben, wo man doch ursprünglich etwas anderes erreichen wollte. Oder ein innovativer Befreiungsschlag von introveriterter musikalischer Einsamkeit auf der Bühne Richtung glücklicher Komplexität, von der sich vielleicht traurige Hörer abwenden, die die Welt nicht mehr verstehen, der aber letztendlich eine persönliche Erfolgsgeschichte erzählt, den keine oscarreife Filmbiografie erfassen könnte.
Wie auch immer die Geschichte abläuft, es erweist sich doch immer wieder, dass ein Umweg über die eigene Befindlichkeit, über das "wie es mir geht, wenn ich diese Musik höre" meist schief geht. Der schlimmste Vorwurf, den man Musikkritik machen kann ist, nur meinungsbildend sein zu wollen, eine Richtung für ein weniger musikalisch gebildetes Publikum vorgeben zu wollen, nichts weiter sein zu wollen, als ein Vorabfilter für die ständige Überforderung durch Überangebot. Was Kritik leisten soll? Ich weiß es nicht. Vielleicht, eine gemeinsame Plattform herzustellen für Menschen, die sich über etwas einig sind und mit diesem bestimmten Glänzen in den Augen weitere Gemeinsamkeiten auszuloten. Begeisterung zu verbreiten nicht, um den eigenen Geschmack als absolut darzustellen, sondern aus Liebe zur Musik, aus Liebe zur Idee, dass manches nicht primär produziert wird, um verkauft zu werden, sondern um sein Publikum mehr zufällig als gezielt zu finden. Dieser Anspruch mag naiv und anachronistisch sein, aber irgendein Weg muss doch gefunden werden, oder?

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