Sunday 20 July 2008

Marie Antoinette

Zuallererst: „Marie Antoinette“ ist ein lustiger Film. Abgesehen von geschichtlichen Fakten, anachronistischer Musik, Nichtbeachtung konventioneller Regeln für die Herangehensweise an historische Stoffe, Objektivität, ist „Marie Antoinette“, der dritte Film von Sofia Coppola, unglaublich unterhaltsam: Es geht um eine unfreiwillig und zu jung verheiratete Prinzessin, deren Glück davon abhängt, ob sie ihr schwuler bester Freund, der leider auch ihr Ehemann ist (ein mit allen Klischees gewaschener Jason Schwartzman), sie rechtzeitig schwängert, um die Beziehungen zwischen Österreich und Frankreich zu zementieren. Geschickterweise lässt der Film dabei unerwähnt, dass der junge Prinz zum Zeitpunkt der Eheschließung 15, seine Ehefrau 14 Jahre alt ist. Politik interessiert Antoinette natürlich überhaupt nicht, denn im Gegensatz zu ihrer resoluten und akkurat von Marianne Faithful gespielten Maria Theresia, fünfzehnfache Mutter, die durch geschickte habsburgerische (Heirats-)Politik ihr Land zusammenhält, lebt sie in Versailles. Was rund um Versailles geschieht, weiß der Zuseher nicht. Versailles ist ein Märchenschloss, dessen düstere zuckrigen Seiten von Anfang an deutlich werden: als das unwissende Kind an der Grenze von all ihren österreichischen Habseligkeiten inklusive Mops getrennt wird, um nun ganz und gar französisch zu sein, während rundherum die bösartigen und neidischen Adeligen tuscheln, als wäre das hier ein Schulhof. Während alles glitzert und glänzt, erweist sich das strenge Ritual der Verschwendung in Versailles nach kürzester Zeit als Gefängnis: Mit aller Pracht wird hier dem Untergang entgegengefeiert, ohne Freiheit, denn die strengen Regeln bei Hofe sind allgegenwärtig und furchtbar katholisch wird auch getan. Antoinettes Widerstand wird schon im Keim erstickt: der naive Kommentar, dass dies hier einfach nur „ridiculous“ sei, wird mit einem naserümpfenden „that’s Versailles“ beantwortet. Kein Ausweg in Sicht. Langsam verwandelt sich das anfangs noch erwartungsvolle Gesicht Marie Antoinettes in einen Ausdruck purer Ennui: Die Langeweile der Dekadenz, gefangen in einem Schlangennest. Der einzige Ausweg: cake and fashion. Im Prinzip ist „Marie Antoinette“ streckenweise viel mehr ein Film über Paris Hilton als über die unglückliche französische Königin, die ahnungslos in ihr Verderben ging. In der Mitte des Filmes hat sich das unwissende Mädchen endgültig in das Partygirl verawndelt, das in der Früh vom Geklirre der Champagnergläser aufwacht, als das Chaos der letzten Nacht von den Zofen entfernt wird.
Die spannenden Brüche, das Begehren vielleicht, das sie ihrer konstruierten Gegenspielerin entgegenbringt: Die Mätresse des Königs (Rip Torn), gespielt von einer perfekt besetzten Asia Argento, wird zwangsweise akzeptiert, aber von allen Seiten wegen ihrer Herkunft und ihres Gehabes gemobbt. Dass man solche Frauen nicht ungebührlich reizen sollte, denn nichts ist gefährlicher als verletzter Stolz, lernt Marie Antoinette schnell. Sie ist das, was kommen wird: Der wilde, ungebührliche Aufsteiger von draußen, von der Straße, der bei Tisch rülpst, keinen oder den falschen Stil hat und ohne Sorge auf die Revolution warten kann.
Dann stirbt der König, und plötzlich ist Marie Antoinette nicht mehr bloß Dauphine, die Ehefrau des erstgeborenen Sohnes, sondern Königin von Frankreich (und, wie wir schon aus "The Other Boleyn Girl" wissen, gibt es für junge Königinnen kaum eine gefährlichere Lage als wenn die Ehe noch nicht vollzogen wurde und kein Thronfolger in Aussicht ist). Die Perfektion, mit der die Bettszenen inszeniert sind: eine sich verzweifelt zurückhaltende Marie Antoinette, die aus den Briefen ihrer Mutter erfahren hat, dass grundsätzlich immer sie die Verantwortung trägt, im Hintergrund das eindringliche Ticken der Uhr. Wir durch einen deus ex machina geht es dann Schlag auf Schlag: kurz nach dem "oh" kommt der erste Thronfolger (eine nicht ganz historische, aber wohl dramatisch notwendige Verkürzung).

Das spannende an Marie Antoinette: in dem riesigen, glitzernden Luftballon ist nichts als Luft. Die einzige Aussage ist vielleicht, dass sie ein Opfer ihrer Zeit war, ahnungslos in ihr Verderben ging, in ihrer Blase überhaupt kein Verständnis für Politik aufbringen konnte, und dann war der Kopf schon weg. (die unglückseligen Worte, die sie zuvor über die Revolutin verliert: "I'm not going to acknowledge it", auch wenn die Sache mit dem Kuchenessen natürlich nur ein polemisches Gerücht ist) Im Vergleich zu dem Aufwand, den etwa "Elizabeth" betreibt, politische Zusammenhänge und Motivationen zu erklären, a very delightful piece of hot air. Und eine realistische Darstellung der Jugend - aber nicht 1793, sondern genau jetzt.

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