Friday 29 August 2008

Wir kennen uns noch von früher oder Irgendwie sind wir doch alle Mittelstand

"Erwärmen Sie ihr kaltes Herz"

Nach etwa 35 Minuten, nach denen in meinen Notizen immer noch nicht viel mehr steht als "bla", erinnere ich mich an den Vergleich, den mal jemand mit einem Cat Power-Konzert gezogen hat (das war noch vor 2006): "going to a Cat Power concert is like watching NASCAR for the crashes". Das gleiche gilt für die Diskussion, nur dass ein Autounfall plötzlich und laut kommt, während dieses Debakel ganze 45 Minuten anhält, in Super-Zeitlupe abläuft und deswegen in etwa die Spannung eines visuell experimentellen Films hat, vor dem man ausharrt und mit dem Kopf nickt um nachher erzählen zu können, man würde sich für moderne Kunst interessieren.

Das war bisher tatsächlich das zermürbenste Gespräch, ohne dass ich den Finger darauf legen könnte, was da eigentlich schief gelaufen ist. Erstmals eine Erläuterung zum Ende des letzten Eintrags: Die ÖVP hat den Wahlkampf mit der Aufkündigigung der Koalition begonnen. Das dominante Thema, das ja auch vordergründig der Anlass für das "Es reicht" war, betraf die Position der SPÖ zur EU, die Molterer im Brief an die Krone als nicht mit der ÖVP vereinbar sah. Die Botschaft an die Bevölkerung war die Folgende: Nach Monaten des Nichtzusammenarbeitens, des Streitens, haben wir uns jetzt dieses Thema ausgesucht, um die Koalition platzen zu lassen. Die EU. Auf den Fuß kam die Ankündigung, dass man mit keiner Partei koalieren würde, welche die EU in Frage stellt - eine leichte Forderung für eine Partei, die laut Umfragen die Neuwahlen gewinnen wird. Aber ein unkluger politischer Schachzug in einem Land, in dem zwar keine Mehrheit für einen AUSTRITT aus der EU vorhanden wäre, man mit einer uneingeschränkten Bekenntnis zur EU aber trotzdem keine Wähler überzeugt.
Dann tauchten die ersten Plakate auf. Kein Wilhelm Molterer, aber verkürzte, thematische Slogans, die die ÖVP doch recht überraschend positionieren. "Es reicht! Wer bei uns lebt, muss unsere Sprache lernen. Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung". Johannes Hahn inseriert ausgerechnet im Falter
"Es ist blanker Zynismus zu behaupten, dass unsere Wirtschaft und unser Gesundheitssystem ohne Zuwanderer auskommen. Wer soll uns pflegen- und mithelfen, unser Pensionssystem zu erhalten, wenn nicht integrationswillige Zuwanderer und ihre Kinder? ...aber wo Kinder und Frauen durch Sitten und Gebräuche anderer Kulturen und Religionen unterdrückt oder gar misshandelt werden, darf es keine Toleranz von Staat und Gesellschaft geben."

Wirklich bedenklich wird es dann aber erst auf der Homepage. Der gleiche Konnex, den FPÖ und BZÖ immer machen, dieser geschickte rhetorische Kniff, immer von Ausländern zu reden, wenn es um Sicherheit geht, immer von Ausländern zu reden, wenn es um Kriminalität geht, immer von Ausländern zu reden, wenn es um Arbeitslosigkeit geht, hat endlich auch ihren Weg in die Christlichsoziale Partei gefunden.
"Kampf gegen Kriminalität fortsetzen

Klare Regeln sichern das Zusammenleben in unserer Gemeinschaft. Die ÖVP wird daher auch in Zukunft den Kampf gegen Kriminalität, Kinderschänder und den Missbrauch von Menschenrechten wie etwa dem Asylrecht kompromisslos fortsetzen."

[link]
Ich kann Wilhelm Molterer nicht einschätzen, ich weiß nicht, welche Mittel er schätzt, aber ich hätte auf jeden Fall erwartet, dass er sachlich diskutieren kann und dass es ihm unangenehm sein würde, diesen ganz beliebigen Konnex von Asyl, Kriminalität und Kindesmissbrauch (!!) auch in einer Diskussionrunde zu wiederholen. Aber er war sich nicht zu schade dafür. Ingrid Thurnher merkte an, dass da irgendwo ein Widerspruch drinnensteckt: einerseits verkündet die neu gekürte Innenministerin (jetzt mit Profil-Wahlblog) zurückgehende Kriminalität, einen Rückgang der Asylwerber (als ob das schon ein Qualitätsmerkmal für Asylpolitik wäre...), weniger Einbürgerungen etc., andererseits wird eine fiktive Bedrohung inszeniert, weil die Menschen halt Angst haben.

Aber zurück zum Beginn, der wie bei den anderen beiden Diskussion unter dem Thema der Teuerung steht. Hier diskutiert ein Finanzminister mit einem Landeshauptmann. Sehr lange und ausführlich. Haider zählt auf, was er in Kärnten getan hat, um zu entlasten, Molterer kontert, dass dafür der Schuldenberg gestiegen ist (laut Ö1-Mittagsjournal sind die Schulden in Kärnten tatsächlich seit 1999, als Haider Landeshauptmann wurde, gesunken, aber seit 2004, seit den zitierten Maßnahmen, enorm angestiegen). Die ÖVP will eine Steuerreform 2010 und argumentiert, dass jeder Österreicher weiß, wie kurzfristig Steuerzuckerl wirken (ist das ein Argument gegen jede Form von Sozialpolitik und gegen jede Maßnahme gegen die Teuerung?). Natürlich, Molterer kennt seine Stärken, er nennt Zahlen, er ist seriös, ruhig, aber erstaunlicherweise gerade durch diese Haltung leichte Beute für den Landeshauptmann, der gegen Molterer viel souveräner wirkt als letzte Woche gegen Strache, der plötzlich konkrete Vorschläge aus dem Ärmel hervorzaubert (Unternehmenspolitik der EU), denen Molterer sachlich nichts entgegenbringen kann. Letzte Woche hatte man streckenweise das Gefühl, dass Haider gerade deswegen die Fassung verliert, weil er als Jurist mit einem Zahntechniker diskutiert - stellenweise war ihm die persönliche Verachtung für den ehemaligen Ziehsohn aus dem Gesicht abzulesen. Aber in der Position als staatsmännischer, souveräner, vernünftiger Politiker gefällt er sich besser, so funktioniert er auch besser - und bei dieser Diskussion geht es auch um die gleiche Wählergruppe, denn wie später erwähnt wird stammte ein guter Teil der BZÖ-Wähler 2006 aus dem ÖVP-Klientel.
Molterer gerät in die Defensive, obwohl es eine sehr themenbezogene Diskussion ohne persönliche Untergriffe bleibt. Haider wirft seiner Politik "soziale Kälte" vor, und das einzige Argument, das er Haider entgegenbringen kann, sind die Kärntner Schulden (und ich glaube nicht, dass die ihm Stimmen kosten werden, die 300 Euro mehr in der Tasche sind dann eben doch näher als die 4000 Euro pro Kopf Verschuldung.).

Die Rationalität hinter den Neuwahlen war für die ÖVP klar, deswegen waren sie auch nach der Krise Ende Juni wahrscheinlicher als je zuvor. Der Vorsprung der ÖVP vor der SPÖ in den Umfragen beruhte zu einem Teil auf den gebrochenen Wahlversprechen der SPÖ, zu einem anderen auf dem unbeliebten Bundeskanzler, ohne jetzt bewerten zu wollen, inwieweit Gusenbauer dies selbst verschuldet hat oder in dieser Situation jeder andere auch nicht besser dagestanden wäre. Ein neuer Kopf an der Spitze der SPÖ bedeutet einen Bruch mit der Vergangenheit, der sich inszenieren lässt. Hätte die ÖVP zugelassen, dass sich Faymann innerhalb der Regierung neu positionieren kann, als neues Gesicht der SPÖ eine neue Richtung gibt, wäre der Vorsprung wahrscheinlich dahingeschmolzen, vielleicht hätte die ÖVP die nächsten Wahlen verloren.
Aber so, wie es jetzt aussieht, bin ich mir nicht sicher, ob die Wahlstrategie der ÖVP funktionieren wird. Klar, einige Kernwähler lassen sich durch diese Art der Wirtschaftspolitik überzeugen (Nulldefizit ist ein Stichwort, das NUR noch der Finanzminister verwendet), aber die ÖVP sieht sich selbst immer noch als Großpartei, und der rechte Rand ist abgedeckt, ich kann mir nicht vorstellen, dass es da noch viel zu holen gibt. Die Wählerschicht, die zwischen schwarz und grün pendelt, fängt man mit dieser Art Populismus auf jeden Fall nicht ein. Und... die Krone ist gegen die ÖVP. Das ist nicht zu unterschätzen, vor allem, wo dieser Kleinkrieg heute aufgebrochen ist (die ÖVP hatte versucht, eine die Leserbriefseite imitierende Anzeige zu schalten mit Überschriften wie "Faymann verkauft uns für dumm". Das wurde von der Krone abgelehnt.) Den Rechnungshofbericht wegen der Eurofighter zu thematisieren ist der ÖVP bis jetzt auch noch nicht gelungen, und die erste Diskussion Faymann - Molterer wird noch lange dauern - nächsten Dienstag trifft der ÖVP-Chef erstmal auf HC Strache.

....ich glaube, diesmal war ich beim Zusehen das erste Mal streckenweise richtig wütend. Bis jetzt hat sich das in Grenzen gehalten, ich hätte bei der ersten Diskussion mehr unerträgliche Aussagen erwartet, aber tatsächlich ist das erst gestern passiert.

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