Saturday 13 September 2008

Vom Sitzungsmarathon


Kann man eine bestimmte Aussprache des "Rs" schon als Wiederbetätigung klassifizieren?
Egal. Ich mache mir auf jeden Fall Sorgen um die Abschaffung der Studiengebühren. Der FPÖ werden gerade sehr viele Argumente geliefert, warum sie da auf gar keinen Fall mitstimmen sollte.

Und noch was: Studiengebühren gegen Kindergarten ausspielen, ist unfair. Ständig von Generaldirektorskindern und Hacklern reden, wenns um Studiengebühren geht, ist unfair. Ich diskutiere gerne über Studiengebühren, aber nicht auf dem Niveau.

Der ORF übertrug nur einen Bruchteil der Sitzung: Sobald die Kameras weg waren, verließen viele Parlamentarier die Sitzung. Problem dabei: Es gibt einen Livestream, und es gibt Leute, die mitkommentieren. Spannend, zu beobachten, wie die sich verhalten, wenn sie sich unbeobachtet glauben... (zum Beispiel die Abgeordnete Laura Rudas mit der Frage begrüßen, wo sie denn ihre Bluse gekauft hat, und vor allem bei weiblichen Abgeordneten konsequent laut dazwischenschreien. Grad dass nichts geworfen wird.)

Noch ekelhafter: Die Zivilpartnerschaft (für Hetero- und Homosexuelle) gegen "Förderungen der Familien" auszuspielen, weil Kinder brauchen "Mama und Papa" (Darmann, BZÖ). Eine klassische Strategie von sich liberal gebenden Stockkonservativen, die in jeder Diskussion auch gerne sagen, dass sie "Christen" sind, was mit dem Thema nichts zu tun hat: Wir sind gegen Diskriminierung, aber in Wirklichkeit gibt es überhaupt keine Diskriminierung mehr, die beseitigt werden müsste. Ekelhaft.

Der Antrag über die Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel wurde mit 83 zu 80 Stimmen knapp aber doch angenommen und wird in der Sitzung am 24. (jetzt wird er erstmal von einem Ausschuss bearbeitet) zur Abstimmung kommen. Ich würde sagen, BZÖ UND FPÖ haben da mitgestimmt? Während der Zählung wurde es jedenfalls sehr laut (tatsächlich hat sich das BZÖ enthalten, viele ÖVP- und Grüneabgeordnete waren nicht anwesend, deswegen reichten Rote und Blaue Stimmen).

Angenommen (es geht darum, den Ausschüssen eine Frist zu geben, die ermöglicht, dass diese Anträge am 24. September abgestimmt werden können): Gratis-Öffis, Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld, Untersuchungsausschüsse als Minderheitenrecht, "Raus aus Öl und Gas", Familienlastenausgleichsgesetz, Strafgesetzbuch ändern, Österreichticket (einstimmig!), ASVG-Änderung, Kriegsopferversorgungsgesetz (?!) und Beamtenvorsorgeirgendwas, einstimmig und Pensionsanpassung, MwSt auf Medikamente, Preisgesetz und Preisausweisungsgesetz, STUDIENGEBÜHREN !!!, bessere Ausstattung der Universitäten (ein später Sieg für Josef Broukal), Maut.

Sowohl Prammer als auch Glawischnig verdienen Lob für soviel Durchhaltevermögen.

Das ist ungefähr das Arbeitspensum von mindestens 20 Monaten. Und heißt, dass innerhalb kürzester Zeit wichtige Themen durchgehudelt werden müssen, die viel mehr Zeit bräuchten, um vernünftig bearbeitet zu werden. Aber wenigstens ist das gerade ein spannender Moment in der Geschichte, wie Parlamentarismus ohne fixe Bindungen aussehen könnte. Und die nächste Sitzung wird spannend und mindestens genau so lang wie diese.

Was jetzt mit den Anträgen passiert: Sie werden an die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Diese werden von den Fraktionen nach ihrer Mandatsstärke beschickt: was in einer "normalen" Situation bedeutet, dass die Regierung dort die Mehrheit hat, und die Opposition gar nicht erst die Chance, ihre eigenen Anträge durchzusetzen. Diese Ausschüsse lassen sich, wenn sie dies für notwendig befinden, von Experten beraten und bereiten eine Gesetzesvorlage vor, die dann in der zweiten Lesung (die in diesem Fall am 24. September stattfindet) abgestimmt wird. Wenn angenommen, kommt der Gesetzesbeschluss in den Bundesrat, der ein (aufschiebendes, weil durch einen Beharrungsbeschluss aufhebbares) Veto einlegen kann, dann zum Bundespräsidenten, der gegen das Gesetz nur dann ein Veto einlegen kann, wenn es nicht verfassungskonform zustande gekommen ist.

- Nachzulesen in Anton Pelinka/Sieglinde Rosenbeger: Österreichische Politik. Grundlagen Strukturen Trends, im Kapitel "Der parlamentarische Bereich".

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