Monday 13 October 2008

Wie gehts weiter?

Egal, wie man die politische Leistung Jörg Haiders beurteilt: Fakt ist, dass ihm in vielen Sachbüchern zur österreichischen Politik der 2. Republik ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Wenn man über die Wandlung des politischen Systems spricht, darüber, dass SPÖ und ÖVP bis in die späten Siebziger die Wählerstimmen untereinander aufteilten und kaum etwas für das dritte Lager überließen, darüber, dass die österreichische Politik lange Zeit überhaupt nur die Politik zweier Lager war - kommt man nicht darum herum, über Haider zu reden. 1983 bildete Fred Sinowatz die erste Regierungskoalition mit Blau, damals unter Norbert Steger. Beim Innsbrucker Parteitag von 1986 kam Jörg Haider an die Macht, Vranitzky, sogar in den Interviews nach Haiders Tod noch deutlicher Gegner, ohne die Bereitschaft, seine Kritik an ihm zu revidieren oder zu relativieren, kündigte die Koalition auf.

Die Regierungsbeteiligigung hat das rechte Lager zweimal an den Rande des Zusammenbruchs gebracht und zweimal hat es sich wieder zusammengesetzt. Zweimal ist es gestärkt aus einer Krise wieder auferstanden. In den Neunzigern machte Haider Schlagzeilen mit dem "vernünftige Beschäftigungspolitik im Dritten Reich"-Sager, der ihm den Landeshauptmannsposten kostete, mit den ersten ausländerfeindlichen Wahlkämpfen, mit Angriffen gegen Künstler und Intellektuelle, mit antisemitischen Äußerungen gegen den damaligen Präsidenten des Verfassungsgserichtshofs Adamovich. Trotzdem: nach den Wahlen 1999, als das rechte Lager unter Haider die ÖVP überholte und mit knapp 27 % die zweitstärkste Partei Österreichs wurde, kam die blau-schwarze Koalition. Haider zog sich zurück, Jahre der inzwischen kaum noch nachvollziehbaren Personalwechsel führten zu vorgezogenen Neuwahlen, nach denen die ÖVP diesmal als stärkste Partei wiederum eine Koalition mit der auf 10 % zusammengeschmolzenen FPÖ einging. 2005 gründete Haider das BZÖ, das weiterhin zweite Regierungspartei blieb. Strache wurde Parteiobmann des schuldenbeladenen Rests.

Jörg Haider wird zugesprochen, die Dominanz von ÖVP und SPÖ gebrochen zu haben und einen neuen politischen Stil eingeführt zu haben, auf den sich inzwischen alle politischen Kräfte einstellen müssen. Dass wahrscheinlich jede oppositionelle Kraft, die populistische Methoden zum Wählerfang einsetzt, in den Neunzigern ähnliche Erfolge gefeiert hätte, ist eine andere Sache. Ein theoretisches Mehrparteiensystem, das jahrelang wie ein Zweiparteiensystem funktioniert, muss irgendwann aufbrechen, vor allem wenn die Unzufriedenheit wächst. Die sogar bei politisch gegensätzlich eigenstellten Menschen durchklingende Bewunderung beim "Hecht im Karpfenteich"-Sager ist für ich heute nicht mehr nachvollziehbar. Ich wurde in einer Zeit politisiert, in der die FPÖ nicht die Proporzpolitik abschaffte, sondern sich schlicht und einfach ihr Stück vom Kuchen abschnitt.
Haider wird, ohne dies qualitativ zu bewerten, nachgesagt, alte politische Strukturen aufgebrochen zu haben. Wer alte politische Strukturen aufbricht, ohne neue anzubieten, die funktionieren, zerstört aber nur etwas, das funktioniert - und lässt diese Zerstörung dann zurück. Der FPÖ fehlte ab 1999 das Personal, um Regierungsarbeit zu betreiben, und die politischen Ideen, die Probleme gelöst hätten.
Politik ist ein Wettbewerb. Jede Partei kann sich ihre Nische suchen. (solange sie in dem vielzitierten "Verfassungsbogen" liegt - ob FPÖ und BZÖ innerhalb dieses sind, ist eine andere Diskussion. Bemerkenswert ist aber doch, dass diese beiden Parteien nur in Österreich als rechtspopulistisch gesehen werden überall sonst als rechtsextrem.) Die Krise des Systems im Moment ist, dass eine Partei, die eigentlich nur als Oppositionspartei funktioniert, die ihre politische Macht so ausübt, dass sie andere, regierende Parteien dazu zwingt, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen (egal, ob sie der SPÖ einen bestimmten EU-Kurs nahelegt, oder der ÖVP radikale Positionen in der Fremdenpolitik, oder dem gesamten linken Spektrum eine scharfe Abgrenzung abverlangt), knapp davor ist, die stärkste Partei zu werden. Das ist das Paradox der Veränderung, die Haider bewirkt hat. In den Achtzigern hätte sich die FPÖ vielleicht in eine der europäischen Norm entsprechenden wirtschaftsliberale Partei verwandeln können. Vereinzelte Personen sprechen von dieser anderen Linie: Grasser, Gastinger. Für die jetzt kein Platz mehr ist. Stattdessen kommt der ÖVP diese Rolle zu: sie vereinigt in einer Partei widersprüchliche Positionen. Eine Partei, die staatstragend sein will, und trotzdem extrem neoliberale Positionen vertritt. Eine Partei, die gleichzeitig wirtschaftsliberal wie gesellschaftlich konservativ ist. Wer weiß, welche Positionen die ÖVP heute einnehmen würde, wenn es eine etablierte FDP-artige Partei in Österreich gäbe?
Das ist ein Versagen vieler verschiedener Akteure. Die Parteien, die sich als "groß" verstehen, kommunizieren ihre Lösungsansätze schlecht, wenn sie welche haben. In der Bevölkerung besteht ein falsches Verständnis dafür, was die Politik überhaupt leisten kann - dass persönliches Versagen manchmal nicht von der Politik aufgefangen werden kann. Wer Probleme mit seinen Nachbarn hat, sollte nicht gleich die Polizei rufen, sondern versuchen, mit den Nachbarn zu sprechen. Wer den Job verliert, sollte nicht zuerst nachsehen, wie viele Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft in diesem Land beschäftigt sind. Für wen es schon reicht, sich bedroht zu fühlen, weil Menschen in der U-Bahn eine andere Sprache sprechen, sollte vielleicht reflektieren, dass Österreich einer von vielen Staaten in einem größeren, vielsprachigen Gebilde ist, und immer schon war.

Das einzig positive, was ich nach der der letzten Wahl schreiben konnte, war, dass das rechte Lager wenigstens gespalten ist. Nichts hat mir so große Sorgen bereitet wie die Möglichkeit, dass Haider und Strache aus machtpolitischen Gründen wieder zusammenfinden und zwei Parteien, die für Außenstehende genau die gleichen Inhalte vertreten, sich vereinigen könnten. 3/4 der BZÖ-Wähler haben Jörg Haider gewählt. Das BZÖ ohne Haider - das sind ein paar wenig erfolgreiche Jungpolitiker, denen "die Sonne vom Himmel gefallen ist", die ohne großen Mann an der Spitze wahrscheinlich keine Richtung mehr finden. Wie sehr sich der Tod Haiders jetzt schon auf das Bestehen des BZÖ auswirkt, wird sich bei den Kärntner Landtagswahlen nächsten März zeigen, bei denen wohl der stellvertretende Landeshauptmann Gerhard Dörfler für das BZÖ antreten wird. Einerseits hat der Tod Haiders eine große Koalition noch wahrscheinlicher gemacht - Pröll hat rasch die Regierungsverhandlungen mit Faymann begonnen, vordergründig wegen der Finanzkrise ("Stabile Verhältnisse schaffen"), aber wohl auch weil er den Ansprechpartner beim BZÖ verloren hat. Andererseits bedeutet die große Koalition unter diesen neuen Umständen eine noch größere Gefahr, dass Straches FPÖ bei der nächsten Wahl die meisten Stimmen gewinnt. Welches Potential noch vorhanden ist, lässt sich wegen der vielen Nichtwähler bei dieser Wahl schwer sagen.
Wäre es übertrieben, zu behaupten, dass Österreich gespalten ist? Knapp 30 % der Wähler haben BZÖ oder FPÖ gewählt, dagegen stehen mindestens genau so viele, die diese Entscheidung nicht verstehen, die nicht nur Angst vor diesen Parteien haben, sondern genau so vor ihren Wählern. Viele meinen, die hätten nicht gewusst, welche Programme sie zusätzlich zu Haiders Gesicht und Straches schönen blauen Augen wählen, aber da bin ich mir nicht so sicher: wahrscheinlicher ist eher, dass es ihnen egal war, welches Programm dahinter steht. Das ist vielleicht der größte Erfolg Haiders. In Österreich erzeugt es keinen breiten Aufschrei, wenn rechtsextremes Gedankengut implizit oder explizit in den Wahlkampf, die Programme, die ganze Inszenierung einer Partei miteinfließt. Die kritischen Medien werden als "links" abgestempelt und haben im Vergleich zur Kronenzeitung eine zu vernachlässigende Leserschaft. "Die Presse" nimmt eine Sonderposition ein, die fast hundertprozentig dem merkwürdigen Spagat entspricht, den die ÖVP in ihrem Verhältnis zur FPÖ eingeht: Einerseits ein Naserümpfen von oben herab über die Methoden, andererseits ein Wissen darum, dass die ÖVP als zweitstärkste Partei nur in einer Koalition mit Rechts den Bundeskanzler stellt - was dann mit "wir grenzen niemanden aus" halbherzig begründet wird, aber in Wirklichkeit reines opportunistisches Machtstreben ist.
Wo müsste man ansetzen, um Veränderungen herbeizuführen? Im politischen Diskurs? Bei der politischen Bildung an den Schulen? Mit der Gründung einer linkspopulistischen Partei, die Strache die Wähler von einer anderen Richtung aber mit ähnlichen Methoden abspenstig macht?

Jetzt noch etwas zur Frage, wie man nach dem Tod eines Politikers, mit dessen Positionen man nicht übereingestimmt hat, der gerade den Schwächsten und Hilflosesten zu oft mit Zynismus begegnet ist, der von der Verfassung garantierte Rechte missachtet hat, über sein Vermächtnis schreibt. Niemand, außer Freunde und Verwandte Haiders, wissen, wie er als Mensch war. Jeder, der einen geliebten Menschen verliert, verdient Beileid. Ich war nach dieser ersten Pressekonferenz mit Stefan Petzner auch ein bisschen erschüttert. Aber als jemand, der sich mit Politik beschäftigt, muss ich mich mit dem Politiker Haider auseinander setzen, damit, welche Positionen er vertreten hat, welche Veränderungen er bewirkt hat. Ich bringe niemandem nur deswegen Respekt entgegen, weil er "etwas verändert hat". Ich bewerte qualitativ, nicht quantitativ. Ein talentierter Politiker muss nicht nur möglichst viel Macht anhäufen, sondern zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt zumindest ein paar richtige Antworten für aktuelle Probleme gehabt haben. Haider, und die extreme Rechte in Österreich, hat sehr viele Fragen, aber keine einzige Antwort, die einer Prüfung standhält, und in einem Land, das von diesen Parteien entscheidend mitbestimmt wird, will ich eigentlich nicht leben - und ich glaube, da geht es vielen anderen genau so.

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