Saturday 4 July 2009

Virtuality

"Virtuality", ein eineinhalbstündiger Pilotfilm für eine Serie, die wahrscheinlich niemals produziert werden wird, ist die andere Seite der Münze, die "Caprica" vor einigen Monaten geworfen hat. Hier ist die Gesellschaft ebenfalls kurz vor der Katastrophe, bloß dass sie davon weiß: ohne dass eine präzise Zeit angegeben wäre (wohl etwa 2050), vermuten wir den Punkt in einigen Jahren in der Zukunft, wo sich die Klimakatastrophe konsequent weiterentwickelt hat, wo das menschliche Leben auf dem Planeten Erde ein Ablaufdatum in etwa 100 Jahren erhalten hat. Eine Expedition, bestehend aus einem dreizehnköpfigen Team, soll erstmals in den "deep space" reisen und in einer zehnjährigen Mission die Bewohnbarkeit eines anderen Planeten testen.
Die Phaeton wird dabei, der aktuellen Medienlogik folgend, zu einem Big-Brother-Haus im outer space, in dem Teile der Crew jeden Moment als Reality Show inszenieren, die jeden Abend in die Milliardenhaushalte auf der dem Untergang gewidmeten Erde gezeigt wird. Die Serie selbst folgt dieser Logik: neben der bereits aus "BSG" gewohnten Ästhetik der wackligen Nähe zu den Protagonisten sehen wir auch die Perspektive der ständigen Beobachter, hunderter Sicherheitskameras, welche die Crew in ihre kleinen Rituale der Intimität zwingen. Sie müssen ihre Gefühle verstecken oder inszenieren. Der mitreisende Psychologe (James D'Arcy), der gleichzeitig auch Produzent dieses soziologischen Experiments ist, hat der Crew nur einen einzigen Ausweg gegeben, ein kleines Leo: Eine virtuelle Welt, die per Augenvisor betreten werden kann und jedem einzelnen unter ihnen die Möglichkeit gibt, in selbst geschriebenen Welten spazieren zu gehen, die keine Grenzen kennen. Der Captain (Nikolaj Coster-Waldau) wird zum Nordstaaten-Offizier im Bürgerkrieg, der im Rollstuhlsitzende Ingenieur träumt vom Bergsteigen, die toughe Pilotin (offensichtlich die Kara Thrace "Virtualitys", perfekt besetzt mit Clea Du Vall) surft und radelt.
In dem Pilotfilm, der viele mögliche Wege für die zukünftige Serie aufzeigt, aber natürlich nur ein kurzer Einblick in ihr Potential ist, kommt es zu der, der Ökonomie der Aufmerksamkeit geschuldeter immer auf Höhepunkte ausgerichtete entscheidenden Episode der reality show: die Crew muss entscheiden, ob sie umkehrt oder die Mission fortsetzt. Dabei kommt es genau zum richtigen Moment zu weiteren Zuspitzungen: der Doktor (Omar Metwally) erkennt, dass er an Parkinson leidet, der Captain findet sich in der Situation nicht richtig zurecht ("this is not a democracy"), und ein merkwürdiger Geist (Jimmi Simpson, nach "DEBS" und "Itty Bitty Titty Committee" überzeugend in einer unheimlichen Rolle) hat sich in die virtuelle Welt eingeschlichen, der über jegliche Programmierung hinausgeht und die Crewmitglieder virtuell tötet oder zumindest in extreme Situationen bringt. Die sowieso unsichere Programmiererin (Kery Bishé), die gleichzeitig als show host funktioniert, erlebt eine Vergewaltigung und hat Probleme, den männlichen Crewmitgliedern zu vermitteln, dass es für sie irrelevant ist, ob das Erlebte nur eine Simulation war. Der Captain reagiert auf die Konfrontation mit dem eigenen Tod mit einer manischen Begeisterung für die bevorstehende Mission, versteht die Botschaft, die der Geist überbringt, als Motivation ("you are not fooling anyone, least of all yourself"). Die realistische Pilotin ist skeptisch und warnt als einzige vor der vielleicht kommenden Gefahr.
"Virtuality" hat als Serie viel Potential: Am Ende des Pilotfilms kommt es zu einem Szenario, das dem von "Caprica" nicht unähnlich ist. In einer Welt, in der Menschen hauptsächlich als Summe der Informationen wahrgenommen werden, die sie hinterlassen, ist der Tod vielleicht nicht das Ende. Wohin diese Reise gehen sollte, welche Fragen noch aufgeworfen werden, wird wahrscheinlich niemals beantwortet werden, obwohl das Potential dieser Prämisse schier endlos ist. Dass beinahe alles, was in diesen kurzen eineinhalb Stunden geschieht, genau der Logik einer produzierten Serie entspricht (die Welt wird enden! Die Hoffnung der MENSCHHEIT liegt bei diesen 13!), lässt auch vereinzelte Crewmitglieder selbst das in Frage stellen, was ihnen durch die Kommunikation mit der Zentrale als Realität dargestellt wird. Informationen sind eine prekäre Sache, wenn sie nur aus einer Quelle kommen (die hier, ironischerweise, FOX ist, die in der fiktiven Welt von "Virtuality" auch die reality show produzieren, also a box in a box in a box). Auch das Konfliktpotential innerhalb der 12 beziehungsweise 13 Crewmitglieder wurde durch die Auswahl der "Kandidaten" etabliert: die toughe Pilotin crasht mit den anderen weiblichen Mitgliedern ("I don't really like women"), nur um einige Minuten später zur einzigen Person zu werden, die versteht, welche Auswirkungen die Vergewaltigung für die Programmiererin hat. Der Captain hat eine virtuelle Affäre mit der Ehefrau des Psychologen, die Fragen aufwirft, ob es immer noch nur virtuell ist, wenn sich zwei richtige Menschen in einer programmierten Welt treffen. Die Idee, dass sich eine Gruppe von Menschen, die isoliert vom Rest der Welt ist und sich in Extremsituationen befinden wird, früher oder später "Der Mensch ist des Menschen Wolf" vorführt und damit beweist (as seen in "Cube").

2009, Regie: Peter Berg, Drehbuch: Ron D. Moore, Michael Taylor, mit Nikolaj Coster-Waldau, Kerry Bishé, Joy Bryant, Jose Pablo Cantillo, Ritchie Coster, Erik Jensen, James D'Arcy, Clea DuVall, Gene Farber, Sienna Guillory, Nelson Lee, Omar Metwally, Jimmi Simpson.

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