OutNow.CH (ON): Was waren Deine Beweggründe für den Film Die fetten Jahre sind vorbei?Hans Weingartners Film hat ein riesiges Problem: Hans Weingartner. Das obige Interview soll umreißen, was der große Fehler von "Die fetten Jahre sind vorbei" ist und warum dieser Film einen kritischen Zuseher mit großer Wahrscheinlichkeit wütender macht, als ein schlecht produzierter amerikanischer Actionfilm jemals könnte. Weingartner erhebt den Anspruch, einen relevanten Film über Jugendrebellion zu machen, einen medienkritischen, gesellschaftskritischen, visionären Film, der einen Ausweg bietet, aber in Wirklichkeit könnte der gesamte Film auch ebenso gut als Werbung für eines der Produkte sein, welches hier kritisiert wird. Es ist nicht die Schuld der Schauspieler, denn Daniel Brühl, egal ob man den Typ, den er üblicherweise spielt, mag oder nicht, ist ein ausgezeichneter und talentierter Mensch, über Julia Jentsch muss hier nicht diskutiert werden, und Stipe Ercegs Darstellung wird vermutlicherweise sogar mehr Sympathie auf sich ziehen als die Performance seiner beiden Partner. "Die fetten Jahre sind vorbei" scheitert an der Ideologie dahinter, an einer grundsätzlich missverstandenen Idee und einer Ästhetisierung, die äußerst fragwürdig ist. Auf überhaupt keinen Fall ist dieser Film, was er so krampfhaft zu sein versucht: aufrüttelnd.
Hans Weingartner (HW): Mir ging es darum, das Thema Jugend und Rebellion aufzugreifen und zu zeigen, dass die natürliche Dynamik, die aus dem Generationenkonflikt entsteht, wichtig ist. Das Ganze sollte aber mit Ironie behandelt werden. Wir haben versucht, auch viel Humor reinzukriegen. Insofern ist es ein Film mit politischen Themen, aber ich würde es nicht als politischen Film bezeichnen. Bei mir selber war es so, dass ich immer Teil einer Jungendbewegung sein wollte, aber nie eine gefunden habe. Die Protagonisten in dem Film haben eigentlich dasselbe Problem, nur dass sie im Gegensatz zu mir, sich nicht in eine Subkultur zurückziehen, oder Drogen nehmen oder Filme machen, sondern einfach eine Jugendbewegung starten. Der zentrale Satz für mich im Film ist, obwohl es viele zentrale Sätze gibt, "wild und frei leben". Den Traum zu verwirklichen und darum zu kämpfen, wild und frei zu leben, halte ich für sehr wichtig. Es gibt viele Menschen wie Hardenberg (eine Figur aus Die fetten Jahre), die sich Schritt für Schritt an die Konsumgesellschaft angepasst haben und diesen Traum vielleicht noch in sich tragen, aber der ist vollkommen verschüttet. Wir leben einerseits in einer Überflussgesellschaft, andererseits sind fünf von zehn verkauften Medikamenten Psychopharmaka. Also kann irgend etwas nicht stimmen.
ON: Kanntest Du das Lied von Tocotronic "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein" schon vor dem Film?
HW: Ich kenn das Lied. Das ist schon uralt, zehn, fünfzehn Jahre. Ich finde Tocotronic sehr schön, aber es ist dann doch im Endeffekt eher ein Klagelied. Wir wollten mit dem Film einen Schritt weitergehen als nur zu Klagen. Wir wollten Alternativen aufzeigen. Wir wollten zeigen, he Leute, zu rebellieren kann auch tierisch Spass machen. Das ist jetzt "sexy", um es in moderner Sprache zu sagen. Leben ist für mich Bewegung. Wenn man sich bewegt, macht man sich auch angreifbar. Man lebt dafür halt. Durch Bewegung entsteht Reibung. Es entsteht Energie, die die Gesellschaft antreibt, und die dich als Mensch ausmacht. Lass sie Dir nicht nehmen! Viele Menschen spüren diesen revolutionären Impetus und ersticken ihn aber mit Drogen. Gerade in der Schweiz und in Voralberg ist es ein großes Problem, das Drogenproblem. Wenn Du Heroin nimmst, dann ist alles easy. Fernsehen ist aber auch eine Droge, die in diese Richtung geht. Du musst Dir mal überlegen, im Alter von vier, fünf Jahren bis 18 schaust Du vier Stunden Fernsehen am Tag im Durchschnitt. Ein Gehirn, das dadurch nicht komplett geröstet wird, das gibt’s doch nicht.
(Ausschnitt aus einem Interview auf Out.Now.ch vom Dezember 2004)
Die Idee, die scheinbar den Mittelpunkt des ersten Teil des Filmes bildet, ist noch halbwegs ironisch und nachvollziehbar. Jan (Brühl) und sein Mitbewohner Peter (Erceg) brechen in die Villen der Reichen Berlins ein, kreieren moderne Kunst aus ihren Möbelstücken, ohne etwas zu stehlen, und hinterlassen tiefsinnige Nachrichten: "Sie haben zuviel Geld" oder eben "Die fetten Jahre sind vorbei". Weingartner gibt sich den ganzen Film über besonders viel Mühe, reiche Menschen als grundsätzlich unmoralisch, dekadent und menschlich schlecht darzustellen, was vielleicht nicht so weit gegriffen ist, aber doch im Gesamtzusammenhang lediglich die Tiefe einer Schwarz-Weißmalerei à la Disney zulässt. Unsere Helden müssen gut sein, weil sie ärmer sind als die Reichen, welche sie kritisieren: ihre Ideologie, phrasisch wie ein Best of Marxism, muss einfach stimmen. Niemand hinterfragt hier, ob die Charaktere tatsächlich moralisch im Rest sind, nur weil sie weniger Geld haben: schließlich sind sie offensichtlich ebenfalls ein Teil der Konsumgesellschaft, die sie kritisieren. Jeder andere Regisseur hätte diese Möglichkeit wahrgenommen, aber Weingartners Herangehensweise ist dermaßen unironisch, dass ihm überhaupt nicht auffällt, wie fragwürdig seine Protagonisten sind. Auf der Berghütte, in die sie Hardenberg entführen, stellen sie fest, dass sie kein Bier, keinen Wein und keine Zigaretten mehr haben, und das Gras ist auch ausgegangen. Für mich ist das eine der enthüllendsten Szenen des Filmes. Jule (Julia Jentsch) ist am Anfang des Filmes klüger, als nachdem sie sich von Jan zu seinem Kampf bekehren hat lassen. Sie protestiert gegen Sweatshops (wenn man genau Acht gibt, sieht man in einer Szene, dass Peter hippe Adidas-Schuhe trägt! Wie antikapitalistisch!), und als sie gesteht, dass sie, bevor sie Hardenbergs Auto anfuhr und somit 100 000 Euro Schulden anhäufte, einfach nur "wild und frei" leben wollte, fühlt sie, wie lächerlich dies klingt – bis Jan meint, es wäre eh voll OK und so. Der Jan dieses Filmes ist natürlich Hans Weingartner, aber diesem fällt gar nicht auf, wie antifeministisch die Art und Weise, wie Jule all ihre eigenen Überzeugungen aufgibt, ist. Sein Charakter ist genau so verbissen, wie die Inszenierung des Regisseurs. Er lernt nicht. Wenigstens kann der Film den Anspruch erheben, ein realistisches Bild der heutigen Jugend zu zeichnen, die tatsächlich nicht mehr weiß, woran sie glauben kann, oder wie sie reagieren soll, wenn ihr auffällt, dass etwas falsch läuft: die Auswege, die Weingartner hier anbietet, sind in Wirklichkeit nur imaginäre Eskapaden, eine Flucht in eine Traumwelt, in der man einfach mal einen ehemaligen Rudi-Dutschke-Freund und jetzigen Konformisten auf eine Hütte entführt, mit ihm ein paar Diskussionen führt, die niemals das bessere Argument, sondern die tiefere Überzeugung gewinnt, und dann mit dessen Yacht nach Spanien fährt, um von dort aus den größten Satelliten auszuschalten, damit die Menschen nicht mehr "vor der Glotze zu hocken".
Die wahrsten Worte des Filmes spricht Jan: "das rebellieren ist halt schwieriger geworden, und was früher subversiv war, kannst du heute im Laden kaufen". Ob Weingartner wohl die Ironie aufgefallen ist, die entsteht, wenn man diese Zeilen auf seinen eigenen Film anwendet? Wie falsch der Film läuft, erkennt man, wenn man plötzlich realisiert, dass Hardenbergs Charakter der Sympathischste ist, auch wenn der Regisseur alles versucht, ihn am Ende als böses, konservatives Monster dastehen zu lassen. Ein Film für die hippen Teenager, die "Andreas Baader" T-Shirts tragen.
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