Thursday, 30 November 2006

Wie mir die Smiths und Cure durch den Herbst halfen

Eine Liebeserklärung

Der Herbst hat zwei Seiten, und beide können dir das Leben schwer, ja, beinahe unerträglich machen. Die weithin als "gut" bezeichnete Seite des Herbstes betrifft das malerische Verfärben der Blätter, die dann selbst Wien aussehen lassen wie New York in einem Kitsch-Liebesfilm (manchmal meint man, im Central Park sei immer Herbst), auch wenn man dann im Frühling froh ist, wenn sie wieder grün werden, schließlich bedeutet braun-orange-rot, so malerisch es auch sein mag, in Wirklichkeit Tot und Verfall. Dass wir dies schön finden, ist auch wieder eine dieser Ambivalenzen des Herbstes. Die Natur feiert ihren eigenen, wenn auch nur kurzweiligen tot, und die Menschen feiern glücklich mit, ohne sich der Morbidität bewusst zu sein. Kleine Kinder freuen sich, weil sie mit bunten Drachen auf Feldern herumlaufen können, ältere Menschen sind traurig, dass ihnen dies irgendwann verloren gegangen ist.
Die andere Seite des Herbstes hat sich dieses Jahr fast überhaupt nicht gezeigt, was bestimmt mit dem Klimawandel, also letztendlich abermals mit einer zutiefst morbiden Angelegenheit zu tun hat. Wenn man in der Früh aufsteht, ist es draußen düster, nebelig, man sieht keine fünfhundert Meter weit, die Luft steht nur so von Wassertröpfchen und in den Knochen nistet sich eine Kälte ein, der nicht einmal mit Tee, Heizung aufdrehen und Südafrikanischer Musik beizukommen ist. Diese Kälte unterscheidet sich von der Art her ganz grundsätzlich von der Winterkälte – die fährt ein Schockprogramm. Man geht hinaus, es ist eiskalt, aber wenn man hineinkommt, ist die Kälte weg, man wärmt sich schnell auf und feiert sogar den Umstand, dass es draußen kalt, aber innen wohlig warm ist. Der Herbst als Übergangsphase bereitet dies auf die unangenehmste Art vor, in dem er den Sommer vergessen lässt. Diesen Winter wird sich zeigen, was es bedeutet, wenn die Durchschnittstemperaturen im Herbst höher waren als in irgendeinem anderen erfassten Jahr (in Wien geht das immerhin bis aufs späte 18. Jahrhundert zurück), vor allem, da der Winter in den vergangenen Jahren bekanntermaßen die Eigenschaft hatte, nicht mehr wegzugehen, wenn er einmal da war, und sich bis in den Anfang des Aprils hineinzuziehen. Der Klimawandel, also, wieder mal.
Wenn man über den Herbst nachdenkt, wird er wohl mehr vom Wetter bestimmt als irgendein anderes Monat. Im Winter ist es kalt und es schneit, oder eben nicht, im Sommer ist es heiß, im Frühling – aber darüber denkt man gar nicht mehr nach, da er ja langsam immer mehr von dem umgebenden Jahreszeiten aufgefressen wird. Der Herbst kennt so viele Variationen, die einem dann wieder bekannt vorkommen. Man riecht den ersten Schnee (dieses Jahr kam der wirklich im Oktober, verschwand dann aber auf Nimmerwiedersehen), dann gibt es den einen, ultimativen wolkenlosen wunderschönen Herbsttag, und den einen, ultimativen, grauslichen Nebeltag, den man aber in Wirklichkeit auch nicht missen mag. Nichtsdestotrotz ist der Herbst mehr als jede andere Jahreszeit der Melancholie verpflichtet, denn im Sommer ist es dafür zu heiß, im Winter zu kalt, und im Frühling ist man damit beschäftigt, nicht an den Pollen zu krepieren. Somit ist auch der Herbst jene Jahreszeit, welche einen eigenen Soundtracks erfordert – im Sommer schreibt sich der Soundtrack des Lebens von selbst, aber im Herbst muss man ihn geradezu mit sich herumtragen. Zumindest ich bin gerade in diesem Monat besonders empfindlich auf Musik, was bedeutet, dass ich es nicht aushalte, wenn mir andere Menschen ihre Musik aufzwingen. Ich brauche die Musik im eigenen Kopf, weil ich mich in einer schützenden Blase befinde, die aufrecht erhalten werden muss. Die letzten Jahre über begleitete mich Polly Jean Harvey, da kaum etwas so passend erschien, wie "Stories From the City, Stories from the Sea". Für mich ist "A Place Called Home" das ultimative Busfahren im Herbst Lied, es beinhaltet all jene Gefühle und Emotionen, die der Herbst ebenfalls herausfordert.
Dieses Jahr hat sich etwas verändert. Vielleicht war es eine Aneinanderreihung von Zufällen, welche den gesamten Herbst zu einer Zeit gemacht wurden, in der die bis jetzt eher verschmähten Achtzigerjahre im Mittelpunkt der Beschäftigung standen. Egal, ob es das Thema der sozialen Kälte, der Oberflächenästhetik war, welches ich mit "American Psycho", "Blue Steel" und auch "Nikita" abgehandelt habe, oder die oben beschriebene Herbst-Melancholie war, die in "Donnie Darko" vorherrscht – die Margaret Thatcher-Reagan-Jahre dominierten. Musikalisch sind die Achtziger für mich ein düsteres, dunkles Loch, geprägt von den Eindrücken, die mir MTV-Bestenlisten vermittelt haben, in denen Wham und Cindy Lauper eine viel zu große Rolle spielten. In meiner privaten, übergroßen Musiksammlung spielt diese Zeit eine recht marginale Rolle, einerseits herrschen dort die Künstler vor, die Ende der Achtziger ihrem Ruhm begannen, aber eigentlich eher in die frühen Neunziger einzureihen wären (Beastie Boys, De La Soul, Pixies, Sonic Youth), andererseits spielen hier vor allem Künstler eine Rolle, die aus den Siebzigern kommen, und für die Achtziger Anachronistische Musik machten (Bob Dylan, Punk à la Dead Kennedys, Ton Steine Scherben). Es gibt nur wenige Ausnahmen aus dieser Regel: zum Beispiel die Violent Femmes oder Dinosaur Jr., die beide im Grunde genommen eine Grundlage für die Indie-Bands der Neunziger bilden, aber es selbst niemals dorthin geschafft haben, Suzanne Vega, deren Musik historisch nur überaus schwer einzuordnen wäre, oder die Raincoats, die für mich eine direkte Verbindung zwischen dem Punk der späten Siebziger und der riot grrrl Szene der frühen Neunziger darstellen. Keine dieser Bands ist für mich stiltypisch für diese Zeitperiode, sie machen entweder zeitlose, oder konservativ-rückbesinnende oder progressive Musik.
Nicht so die Smiths, The Cure oder Echo and the Bunnymen – diese Bands SIND für mich die Zeit zwischen 1980 und 1989. Dies mag der Grund sein, warum ich mich niemals wirklich mit ihnen auseinander gesetzt habe und höchstens jene Songs hörte, die einfach immer noch im musikalischen Zeitgeist ihren Platz haben: "How soon is Now", "Boys Don't Cry" oder "The Killing Moon". Wie kaum eine andere Art von Musik erfordern diese Gruppen, dass sie in einem bestimmtem Kontext gehört werden, mit einem bestimmten emotionalen Background, einer bestimmten Stimmung. Ohne all dies geht der Reiz von Morrisseys und Robert Smiths Stimme vollkommen verloren, sie haben keine Resonanz. Diesen Herbst traf all dies zu, vor allem auf die Smiths. Vor allem der Anfang von "There's a Light That Never Goes Out".

Take me out tonight
Where there's music and there's people
And they're young and alive
Driving in your car
I never never want to go home
Because I haven't got one
Anymore

Morrisseys Stimme trifft die Melancholie des Herbsts perfekt, die innere Einsamkeit, die nicht einmal die Gesellschaft von Menschen überspielen könnte, die ständige Gegenwart von Tod und Zerfall (das letztere trifft natürlich auf The Cure noch mehr zu, sie sind dafür aber weniger zugänglich).
Diese Musik kann Leben retten, wenn sie richtig eingesetzt wird, denn in Wirklichkeit braucht man im Herbst keine Ermutigung, keine aufgesetzte Fröhlichkeit, nicht einmal das Licht, welches von afrikanischer oder karibischer Musik ausgeht. All diese würde lediglich als Farbe dienen, die über einen Seelenzustand gepinselt wird, der sich dadurch selbst nicht verändert. Die Musik der Smiths sagt: es gibt noch andere wie dich. Auf diese Art und Weise ist sie zumindest für die Zeit zwischen September und November vollkommen unsterblich geworden.

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