Friday, 16 March 2007

Essay: Architektur und Community

In William Gibsons Sprawl- und Bridge-Trilogie bildet die Architektur eines Raumes die Grundlage für eine bestimmte, in diesem Fall bewusst als anarchistisches Gegenstück zu einer Überwachungsgesellschaft konstruierten community. Gibsons Faszination mit neuer Architektur findet sich auch auf seiner Website. Tatsächlich scheint sie stärker ausgeprägt zu sein, als sein Interesse an neuer Technologie. Diese communities beschreibt eine Sozialanthropologin in "All Tomorrow Parties" als interstitial – bildlich, da es in der Bridge-Trilogie eben um die Oakland-Bridge geht, zwischen reicher Stadt und armem Vorort, und kulturell. Die Menschen, die auf der Brücke arbeiten und leben, haben ihre eigenen Regeln, wir und ihr sind streng definiert. Wo in der umgebenden Welt die ständige Überwachung durch Firmen und private Sicherheitsunternehmen eine alltagsbestimmende Realität ist, nehmen die Brückenbewohner weniger Sicherheit für mehr Freiheit in Kauf.
Architektur bestimmt, wie wir leben, verändert sich die Architektur, verändert sich das Leben. Wer längere Zeit lang diverse Ausformungen der Tatort-Reihe sieht, kommt nach einiger Zeit auf den Gedanken, dass auch hier die Häuser mehr sind als nur Landschaft. Soziale Bedingungen werden intuitiv mit einer bestimmten Architektur verbunden. Die reichen Bürger mit ihren hintergründigen, versteckten Konflikten wohnen in weitläufigen, modern (wenn auch IKEA) eingerichteten Villen, die Armen mit ihren gewalttätigen, offenen Konflikten in den trostlosen, engen Plattenbausiedlungen. Die rechte Szene findet zumindest in "Schwelbrand" in der ebenso trostlosen Vorstadt mit ihren verfallen Einfamilienhäusern statt, wo längst nichts mehr passiert, und die Arbeitslosigkeit grassiert. Soziale Verhältnisse sind also immer an ein bestimmtes architektonisches Umfeld gebunden, werden vielleicht sogar dadurch bedingt. Es fehlen nicht nur die wirklichen Innovationen in der Arbeitsmarktpolitik (der Liberalismus hat längst versagt, wir aber immer noch aus Ermangelung einer denkbaren Alternative hochgehalten), sondern auch in der Architektur, der gesamten Infrastruktur der Städte, die soziale Beziehungen entscheidend mitprägen. Wer in der Stadt wohnt, lebt selten, wo er arbeitet, und arbeitet nicht, wo er die Freizeit verbringt. Somit entstehen frei nach dem Motto " Métro, boulot, dodo" Zonen am Rande der Stadt, die nur zum Schlafen gebaut sind, aussehen, wie Massenaufbewahrungsräume, in denen keine Art von Kultur Fuß fassen kann. Die bleibt, wo sie immer schon war: Im Zentrum, erreicht dadurch aber nicht mehr alle, sondern tendenziell mehr jene, die in ihrer Nähe wohnen, also reicher sind. Nicht nur Bildung ist wieder eine Frage des Einkommens, auch Kultur wird immer mehr dazu. Der 22. Wiener Gemeindebezirk hat eine Subkultur an Jugendlichen, sie sich gar nicht mehr wirklich als Wiener sehen, da ihr soziales Zentrum in Kagran liegt. Der Kontakt zur Außenwelt ist nicht abgeschnitten, aber er ist aufwendiger, und wird somit zu einem für mache schwer überwindbarer Filter. Nicht umsonst findet man kaum jemanden in den Außenbezirken, der mit 18 den Führerschein noch nicht hat, während Studenten aus den inneren Bezirken ihn manchmal erst spät machen. Kontakte zu weiter entfernten Außenwelt und zu potentiell anderen Subkulturen als der lokalen finden nicht mehr in realen Räumen statt, sondern über das Internet. Andere communities zu finden , als die, die sich am nächsten anbietet, ist ein zufälliger Prozess, abseits des mainstreams passiert da nicht viel, und der mainstream schottet sich immer mehr gegen Veränderungen und Innovationen ab, die Risiken bedeuten würden. Das stumpft ab.
Die Ausnahme bilden zum Beispiel die Bobos oder die Dibos, bürgerliche Elite-communties, die über einen Lifestyle definiert sind, der Arbeitswelt und Leben zu einem macht und deswegen auch wieder in bestimmten lokalen Areas stattfindet, bestimmte Wiener Bezirke, in denen man keine Wohnungen mehr bekommt, und die Grünen die Stimmenmehrheit haben, oder in Berliner Szenebezirken, wo kreative Arbeitsgemeinschaften Raum finden. Aber diese Menschen bringen Kapital mit und bewirken, dass Altbauwohnungen doppelt so teuer sind wie Neubauwohnen, und manche Bezirke nicht mehr erschwinglich sind – diese Entwicklung findet überall statt. Wer nicht das Kapital hat, um bestimmte Gegenden im Wert zu steigern, für den wird auch nicht Architektur gemacht. Den anarchischen Anspruch, Freiräume selbst gestalten zu können, stellt niemand mehr, außer ein paar marginalisierte Künstler und Streetpunks, die leicht zu kontrollieren sind. So etwas wie ein Sprawl kann in einer Stadt wie Wien nicht existieren, vielleicht gerade deswegen, weil die demokratischen Strukturen den Anspruch erheben, alle Bereiche zu kontrollieren und demokratisch zu regulieren. Das Sprawl und die Oakland Bridge von Gibson sind keine demokratischen Räume, sie sind anarchisch, unkontrolliert und zufällig, basieren auf dem Prinzip, dass ein Zusammenleben auch ohne dominante Ordnung möglich ist. Das hat nichts mit liberal-kapitalistischer Selbstregulierung zu tun. Da individuelle Ziel ist Leben, nicht Reichtum. Jeder bietet der community seine Fähigkeiten an, ohne dadurch Reichtum zu akkumulieren. Bezeichnenderweise besteht diese community nicht aus Künstlern, sondern hauptsächlich aus Mechanikern, Händlern und Kleinkriminellen. Die Bobos haben in den letzten Jahren ausreichend bewiesen, dass sie nicht unbedingt eine Quelle der Innovation oder gesellschaftlichen Veränderung sind, sondern hauptsächlich für sich selbst produzieren, ohne jemals die Außenwelt zu beeinflussen.

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