Wegen einem der drei Seminare, die ich dieses Jahr unbedingt haben wollte (das über Migration, welches wahrscheinlich für die Richtung, die ich unabsichtlich gewählt habe, vernünftiger gewesen wäre, habe ich nicht bekommen) muss ich mit "Der neue Geist des Kapitalismus" von Luc Boltanski und Éve Chiapello auseinandersetzen, und das trifft mich an einer sehr empfindlichen persönlichen Stelle, womit ich nicht gerechnet habe.
Erstens: Der Kapitalismus an sich hat keine Werte, er bekommt welche, wenn er die Kritik absorbiert, die andere an ihm leisten. Somit verändert er sich ständig, und ist vor allem deswegen so erfolgreich, weil das Einfügen der Kritik in das eigene System schon grundsätzlicher Bestandteil des Systems selbst ist. Im Endeffekt ist das auch der Kritikversuch, an dem Hans Weingartner in "Die fetten Jahre sind vorbei" scheitert. Was früher die 68er waren, sind heute die erfolgreichen Manager, die gerade durch ihre Kritik am Kapitalismus eine Transformation ausgelöst haben, die ihnen selbst nützt. Kritik, aufgeteilt in Künstlerkritik (die "Authentizität" verlangt und Autonomie der Arbeiter) und Sozialkritik (gegen Ausbeutung etc.), wurde absorbiert: vor allem die Künstlerkritik ist weitgehend umgesetzt. Authentizität verkauft sich besser als jemals zuvor (wie bereits die Diskussion über CSR zeigt, lässt sich Verantwortung jetzt als Lebensstil verkaufen und verliert dadurch aber jegliches Transformationspotential, das eine ALTERNATIVE zum Kapitalsmus aufzeigen könnte). Die damaligen Gegner des Systems haben in ihrer Zeit als engagierte Kritiker gelernt, was heute wichtig ist: Kommunikation, Kreativität, Flexibilität.
Wer erfolgreich ist, und nach welchen Kriterien Erfolg bewertet wird, verändert sich. Seit den 90er Jahren haben wir es mit einer neuen Form des Kapitalsmus zu tun: Der sogenannte projektbasierte. Chiapello und Boltanski sprechen von "cités", die als "polis" ins Deutsche übtragen werden. Die projektbasierte Polis ist eine Rechtfertigungsform, die zum Beispiel definiert, dass Flexibilität und Mobilität über den Wert entscheiden. Wer flexibel ist, ein großes Netzwerk hat, und dieses auch zu Nutzen weiß, ist "wertvoll", und, was noch viel wichtiger ist, er erhöht seine "employability". Projektbasiert meint auch, dass man nicht mehr von Arbeit im herkömmlichen Sinn sprechen kann. Das Individuum nimmt an Projekten Teil, fügt sie dem Portfolio hinzu. Es gibt keine wirkliche Trennung mehr zwischen Arbeit und Freizeit, das Netzwerk, welches nicht nur andere Mitarbeiter umfasst, wird auf Freunde und Familie ausgedehnt, auf alle, die man kennt, auf alle, die einem potentiell nützen können. Klingt das verdächtig hiernach? Ist es auch.
Somit werden jene, die potentiell die aktivsten und erfolgreichsten Kritiker des kapitalistischen Systems wären, zu Teilen des Systems, zu jenen, die wahrscheinlich in der Zukunft Erfolg haben werden. Man muss ja nicht gleich von Dibos reden: die guten alten Bobos tun es auch. Ich kenne jemanden, auf den die Beschreibung eines Menschen, der innerhalb einer projektbasierten Polis erfolgreich ist, passt. Immer im Stress, immer neue Projekte, und früher oder später wird sie wahnsinnig erfolgreich sein, und daran arbeitet sie, seit sie 14 oder 15 ist. Das ist bewundernswert, natürlich, aber das Schulsystem hat den Gedanken noch nicht absorbiert, dass dies die Zukunft der Arbeit sein könnte, weswegen auch nicht allzu viele Leute darauf vorbereitet sind. Wer zufälligerweise im richtigen Moment das richtige getan hat, wahrscheinlich sogar gegen sehr viel Widerstand, steht jetzt besser da. Die anderen verlieren die Möglichkeit, das System selbst kreativ mitgestalten zu können.
Ich verstehe, warum das alles nicht mehr nach dem bösen Feind Kapitalsmus klingt, und vielleicht ist eine Transformation auch alles, was man erreichen kann: aber andererseits besteht die Gefahr dieser polis doch darin, dass plötzlich das eigene Netzwerk eine Ressource ist. Was tut man mit Ressourcen? Man betrachtet sie als etwas, das ökonomisch nützlich ist, etwas, das ausgebeutet werden muss. Ich weiß nicht, wie das gehen soll, wenn man seine eigenen Freunde als nichts weiter sieht.
Ich bin das Gegenteil eines erfolgreichen Menschen in diesem Sinne. Ich habe ein kleines Netzwerk, ich frage selten, was andere Menschen für mich tun können, biete meine eigenen Fähigkeiten an, ohne Gegenleistungen zu erwarten, und bin sogar noch so verrückt, zu denken, dass die Welt vielleicht besser wäre, wenn andere auch so wären.
Das war natürlich nur ein Fragment dessen, was dieses Seminar jedes Mal mit mir anstellt, wie hilflos und zukunftslos ich mich danach fühle, und gleichzeitig irgendwie gerüstet für einen Diskurs, der immer an mir vorbeiläuft. Ein Versuch.
Mehr dazu:
Prekär / Digitale Bohemè (ich weiß, nichts ist älter als der Diskurs von gestern, aber trotzdem)
DATUM - Im prekären Treibsand
Phlow-Kritik an "Wir nennen es Arbeit" (positiv)
FAZ - Sie nennen es Arbeit
"Der neue Geist des Kapitalismus"
Mario Scalla - Arbeiten, Konsumieren, Ausgrenzen
Klaus Dörre/Tatjana Fuchs - Prekarität und soziale (Des-)Integration
andere Bücher, die ich den nächsten paar Wochen lesen sollte:
Max Weber - Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
Ryszard Kapuscinski - Afrikanisches Fieber
Markus Marterbauer - Wem gehört der Wohlstand?
was ich stattdessen lese:
Ray Bradbury - Fahrenheit 451
Bruce Sterling - Zeitgeist
Anmerkung: wtf?
Erstens: Der Kapitalismus an sich hat keine Werte, er bekommt welche, wenn er die Kritik absorbiert, die andere an ihm leisten. Somit verändert er sich ständig, und ist vor allem deswegen so erfolgreich, weil das Einfügen der Kritik in das eigene System schon grundsätzlicher Bestandteil des Systems selbst ist. Im Endeffekt ist das auch der Kritikversuch, an dem Hans Weingartner in "Die fetten Jahre sind vorbei" scheitert. Was früher die 68er waren, sind heute die erfolgreichen Manager, die gerade durch ihre Kritik am Kapitalismus eine Transformation ausgelöst haben, die ihnen selbst nützt. Kritik, aufgeteilt in Künstlerkritik (die "Authentizität" verlangt und Autonomie der Arbeiter) und Sozialkritik (gegen Ausbeutung etc.), wurde absorbiert: vor allem die Künstlerkritik ist weitgehend umgesetzt. Authentizität verkauft sich besser als jemals zuvor (wie bereits die Diskussion über CSR zeigt, lässt sich Verantwortung jetzt als Lebensstil verkaufen und verliert dadurch aber jegliches Transformationspotential, das eine ALTERNATIVE zum Kapitalsmus aufzeigen könnte). Die damaligen Gegner des Systems haben in ihrer Zeit als engagierte Kritiker gelernt, was heute wichtig ist: Kommunikation, Kreativität, Flexibilität.
Wer erfolgreich ist, und nach welchen Kriterien Erfolg bewertet wird, verändert sich. Seit den 90er Jahren haben wir es mit einer neuen Form des Kapitalsmus zu tun: Der sogenannte projektbasierte. Chiapello und Boltanski sprechen von "cités", die als "polis" ins Deutsche übtragen werden. Die projektbasierte Polis ist eine Rechtfertigungsform, die zum Beispiel definiert, dass Flexibilität und Mobilität über den Wert entscheiden. Wer flexibel ist, ein großes Netzwerk hat, und dieses auch zu Nutzen weiß, ist "wertvoll", und, was noch viel wichtiger ist, er erhöht seine "employability". Projektbasiert meint auch, dass man nicht mehr von Arbeit im herkömmlichen Sinn sprechen kann. Das Individuum nimmt an Projekten Teil, fügt sie dem Portfolio hinzu. Es gibt keine wirkliche Trennung mehr zwischen Arbeit und Freizeit, das Netzwerk, welches nicht nur andere Mitarbeiter umfasst, wird auf Freunde und Familie ausgedehnt, auf alle, die man kennt, auf alle, die einem potentiell nützen können. Klingt das verdächtig hiernach? Ist es auch.
Somit werden jene, die potentiell die aktivsten und erfolgreichsten Kritiker des kapitalistischen Systems wären, zu Teilen des Systems, zu jenen, die wahrscheinlich in der Zukunft Erfolg haben werden. Man muss ja nicht gleich von Dibos reden: die guten alten Bobos tun es auch. Ich kenne jemanden, auf den die Beschreibung eines Menschen, der innerhalb einer projektbasierten Polis erfolgreich ist, passt. Immer im Stress, immer neue Projekte, und früher oder später wird sie wahnsinnig erfolgreich sein, und daran arbeitet sie, seit sie 14 oder 15 ist. Das ist bewundernswert, natürlich, aber das Schulsystem hat den Gedanken noch nicht absorbiert, dass dies die Zukunft der Arbeit sein könnte, weswegen auch nicht allzu viele Leute darauf vorbereitet sind. Wer zufälligerweise im richtigen Moment das richtige getan hat, wahrscheinlich sogar gegen sehr viel Widerstand, steht jetzt besser da. Die anderen verlieren die Möglichkeit, das System selbst kreativ mitgestalten zu können.
Ich verstehe, warum das alles nicht mehr nach dem bösen Feind Kapitalsmus klingt, und vielleicht ist eine Transformation auch alles, was man erreichen kann: aber andererseits besteht die Gefahr dieser polis doch darin, dass plötzlich das eigene Netzwerk eine Ressource ist. Was tut man mit Ressourcen? Man betrachtet sie als etwas, das ökonomisch nützlich ist, etwas, das ausgebeutet werden muss. Ich weiß nicht, wie das gehen soll, wenn man seine eigenen Freunde als nichts weiter sieht.
Ich bin das Gegenteil eines erfolgreichen Menschen in diesem Sinne. Ich habe ein kleines Netzwerk, ich frage selten, was andere Menschen für mich tun können, biete meine eigenen Fähigkeiten an, ohne Gegenleistungen zu erwarten, und bin sogar noch so verrückt, zu denken, dass die Welt vielleicht besser wäre, wenn andere auch so wären.
Das war natürlich nur ein Fragment dessen, was dieses Seminar jedes Mal mit mir anstellt, wie hilflos und zukunftslos ich mich danach fühle, und gleichzeitig irgendwie gerüstet für einen Diskurs, der immer an mir vorbeiläuft. Ein Versuch.
Mehr dazu:
Prekär / Digitale Bohemè (ich weiß, nichts ist älter als der Diskurs von gestern, aber trotzdem)
DATUM - Im prekären Treibsand
Phlow-Kritik an "Wir nennen es Arbeit" (positiv)
FAZ - Sie nennen es Arbeit
"Der neue Geist des Kapitalismus"
Mario Scalla - Arbeiten, Konsumieren, Ausgrenzen
Klaus Dörre/Tatjana Fuchs - Prekarität und soziale (Des-)Integration
andere Bücher, die ich den nächsten paar Wochen lesen sollte:
Max Weber - Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
Ryszard Kapuscinski - Afrikanisches Fieber
Markus Marterbauer - Wem gehört der Wohlstand?
was ich stattdessen lese:
Ray Bradbury - Fahrenheit 451
Bruce Sterling - Zeitgeist
Anmerkung: wtf?
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