Friday, 27 April 2007

Oh Television, You Creator of Reality

Die Zeit versucht sich an einem Artikel, der das Schulmassaker in Blacksburg mit der steigenden Zeigbarkeit von Gewalt in amerikanischen Fernsehserien verknüpft, bzw. damit, dass nicht mehr eindeutig zwischen Gut und Böse unterschieden werden kann, was ja genau jene Eigenschaft ist, die uns in den letzten Jahren vermittelt hat, dass das Fernsehen vielleicht doch noch eine Zukunft hat. Vor allem "Six Feet Under", "The Sopranos", "Battlestar Galactica" und natürlich auch "Lost" bieten keine eindeutigen Identifikationsmuster mehr, und genau davon geht auch ihr jeweiliger Reiz aus. Wie man einen Artikel darüber schreiben kann, dass der Zuseher inzwischen dazu gezwungen wird, sich mit einem Charakter wie Jack Bauer, der Gewalt einsetzt, um seine "ehrbaren" Ziele zu erreichen, oder Bill Adama, der allzu oft am Grat zwischen Böse und Notwendig abrutscht, zu identifizieren, ohne die neue und inzwischen auch schon auf zwei Staffeln verlängerte Showtime-Serie "Dexter" zu erwähnen, ist mir ein Rätsel, aber vielleicht war sie dem Autor des Artikels noch nicht bekannt.

Die Zeit - Mörderische Helden
Die Zeit - Gewalt in Serie

Der gestrige TV-Abend war geschichtsträchtig. Zur Verabschiedung von % äußerten sich Josef Hader, Peter von den Sportfreunden, Armin Wolf (ich glaube, er versucht der österreichische Jon Stewart zu werden, zumindest ein bisschen), und der Präsident. Wenn irgend jemand anders momentan österreichischer Bundespräsident wäre, hätten wir diese schönen Worte wahrscheinlich nicht gehört, aber es war schon mal interessant, mitzubekommen, dass auch andere Menschen die Dürrezeit von 2002 bis 2007 so wahrgenommen haben wie ich. Als die erste Sendung über den Bildschirm flimmerte, war ich 16. Ich wurde mit % politisiert, dachte dank % über repressive Toleranz, Bobos, Gutmenschen und noch viele andere Dinge nach, und % hat immer ein bisschen besser funktioniert als Dorfers Donnerstalk, die Sendung, welche die ORF-Reform überlebt hat.
Ach, die Reform. Es ist selten ein gutes Zeichen, wenn nach einer Reform die wenigen Dinge wegfallen, die am alten System gut waren - man könnte ja auch behaupten, dass damals 2004, kurz vor meinem 18. Geburtstag, als das Musikfernsehen sich selbst zerstörte und VIVA Fast Forward absetzte (die letzte Sendung war eine stille, da Charlotte Roche zu diesem Zeitpunkt schon eine Woche oder so streikte). Der erste Schritt in diese Richtung geschah schon 2002 mit der endgültigen Einstellung von VIVA 2, aber die Menschen, die sich daran überhaupt noch erinnern können und immer noch wütend sind, werden eben auch weniger.
Aber zurück zur "Sendung ohne Namen": wie Charlotte Roche wurde auch sie hoch dekoriert (Roche mit dem Grimme-Preis, % mit der Romy). Sie brachte mich jeden Donnerstag Abend dazu, mich zu fragen, wie so etwas in dem langweiligen, uninteressanten, beliebigen Einheitsbrei des ORF überhaupt möglich ist. Einmal versuchte ich eine Freundin davon zu überzeugen, dass das Konzept genial ist. Anfangs war sie skeptisch, aber nach 10 Minuten durfte ich sie nicht mehr anreden, weil sie "den Flow gefunden hatte", und alle drei Ebenenen gleichzeitig verfolgte.
Natürlich, eine Sendung von Bobos für Bobos, die nicht unbedingt den Anspruch erheben kann, eine Revolution in der breiten Masse ausgelöst zu haben, aber trotzdem ein Lebensbegleiter für all jene, die im ORF sonst nur die Simpsons und Malcolm aushalten. Jetzt, wo % weg ist, sollte ich, wie Hader vorgeschlagen hat, meine Rundfunktgebühren entsprechend kürzen. Das einzig gute, was die ORF-Reform bis jetzt geschafft hat, ist, dass nicht alle von David Schalko erfundenen Sendungen entfernt wurden. Dabei haben wir uns Großes erhofft, haben wir doch vier Jahre lang warten müssen.
Am Ende der letzten Sendung jene Band, die der subtilen Wut besser Ausdruck verleihen konnte als alle anderen, eine Band, die es jetzt auch nicht mehr gibt.

"Ich seh die Leute in den Straßen
die Diktatur der Angepassten
In den Städten und den Dörfern
leben sie und ihre Lügen
Lügen, Lügen, Lügen"

Hat das Fernsehen wirklich Zukunft, oder müssen wir darauf vertrauen, dass die Zukunft der liebevoll selbst produzierte content von Nicht-Profis sein wird (OKTO, Blogs, Podcasts etc...)?

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