Monday 18 June 2007

Wettlesen 07

Gerade noch überlegt, wie man das hier einordnen kann in die existierenden Kategorien, und dann realisert, dass ich lediglich der Musik etwas eigenes zugedacht habe: was bezeichnend ist, da ich über Musik weitaus gezielter schreibe als über Filme und Bücher. Das gegensätzliche Phänomen bei cellar door: da schreibe ich leichtfüßiger über Filme und Bücher, als über Musik, weil ich mir die fundierte Kritik noch viel weniger zutraue. Die textbasierte vielleicht, aber bei mir ist es immer so, dass ich danach beurteile, was mich berührt, mich betrifft. Bei Filmen bewahre ich mir noch ein wenig Objektivität, bei Musik weiß ich Klugheit und Talent zu schätzen, selbst wenn der Inhalt an mir vorbei läuft - aber nicht bei der Literatur. Da bin ich unfähig, zu lesen, was mich nicht interessiert. Das muss etwas mit mir persönlich zu tun haben, was auch der Grund ist, warum ich hier vielleicht konventioneller bin als bei so manch anderen Dingen, noch mehr auf NEUES fixiert. Vor dem 20. Jahrhundert ist die Literatur für mich ein unentdeckter Kontinent, was ich manchmal auch damit argumentiere, dass ich eine Frau bin, und vorher eigentlich hauptsächlich Männer über Frauen geschrieben haben, was ich selbst heute bei vielen Schriftstellerin nicht aushalte.
Popliteratur? Vielleicht. Bei Literatur ist es mir egal, auf wie lange ihr Haltbarkeitsdatum prognostiziert wird. "Girlfriend in a Coma" und selbst "Microserfs" werde ich auch noch lesen, wenn sich sonst niemand mehr daran erinnern kann. Schließlich sind Bücher genau jenes Medium, welches dem "Konsumenten" die meiste Zeit und Widmung abverlangt, und man liest auch nicht mal so nebenbei ein Buch, während man kocht, bügelt oder Ökonomie lernt. Deswegen tue ich mir auch mit der konventionellen Literaturkritik schwer, welche die Sprache auseinander nimmt, die Themen zerlegt, über meine eigenen Referenzen hinaus vergleicht.
Jetzt aber zum Thema zurück: Der Bachmannpreis 2007, indem Schriftsteller vorlesen und dann eine halbe Stunde Kritik ertragen müssen, ohne sich wehren zu dürfen. Ich möchte dort niemals hin. Die Jury besteht dieses Jahr aus Iris Radisch, Karl Corino, Martin Ebel, André Vladimir Heiz, Ursula März, Ijoma Alexander Mangold, Klaus Nüchtern, Ilma Rakusa und Daniela Strigl. Die Kandidaten werden wie jedes Jahr in der aktuellen Ausgabe des Volltext vorgestellt - eine österreichische Literaturzeitschrift, die ich seit drei Jahren abonniert habe, obwohl ich meist nur ein Zehntel davon lese, weil Literatur eben etwas ist, das sehr spezifisch auf mich selbst zugeschnitten sein muss, um mich anzusprechen. Warum das Abo? Erstens, weil es ein gutes Gefühl ist, eine Literaturzeitschrift zu abonnieren, zweitens, weil ich grundsätzlich gerne Zeitungen nach Hause bekomme (Habe: Falter, Spex, thegap, Volltext; Will: Datum, Malmoe, TBA, Intro, Die Zeit).
Die Kandidaten werden mit eigenen Texten vorgestellt. Das Thema ist nicht klar, es soll aber offensichtlich irgendwie um das Schreiben gehen. Ich kenne das, Texte zu einem bestimmten, sehr offenen Thema schreiben zu müssen (vor nicht einmal einem Monat: 1000 Worte Zeichen über die Arbeit der Journalisten im Europa in 50 Jahren). Konventionell versagt, weil es schnell schal und leer wirkt, aber allzu kreativ bedeutet immer auch, sich sehr weit aus dem Fenster zu lehnen. Das Mittel, welches die erfolgreicheren Bachmann-Vorleser in den letzten Jahren gewählt haben, ist offenbar der gepflegte Sarkasmus, der kann aber auch ordentlich schiefgehen, wenn man nicht gut auf ihn aufpasst.

1. Jan Böttcher (1973, Lüneberg), schicke Brille, eigentlich bin ich ja Musiker, Ich-Erzählung über Bruder, Filmeinstellung. Und, ist die Literatur noch ein eigenständiges Ding?

2. Jochen Schmidt (1970, Berlin), beliebiges Kolumnen-Zeugs, ICH ICH ICH.

3. Jörg Albrecht (1981, Bonn), schicke Brille, Pseudo-Prosa-Quatsch. Das kann ich selbst zu gut, um es bei einem Fremden zu würdigen.

4. Martin Becker (1982, Sauerland), schicke Brille, Ich weiß nicht warum, aber das Selbst-Interview finde ich OK. Grundsätzlich scheinen in letzter Zeit eher jene Autoren zu reüssieren, die das nicht Ernst nehmen (die schaffen es auch wieder unbeschadet raus), aber mit der ZIA habe ich meine eigenen Probleme.

5. Jagoda Marinič
(1977, Kaiblingen), Das gleiche Problem wie bei der Bewerbng zu den youth media days, nur dass sie das trockene-Thema-Reizwortgeschichte-Dings ernsthaft abgegeben hat, statt auf Quatsch umzusteigen. Konsequent.

6. Andrea Grill
(1975, Bad Ischl), "Maramba" ist schön, aber nur einmal und im Original.

7. Ronald Reng (1970, Frankfurt am Main), wäre gerne Fußballer. "Statt über das Schreiben zu schreiben, über das schreiben, was man statt des Schreibens lieber täte". Ich weiß nicht.

8. Christian Bernhardt (1964, Köln), Meine Eltern, sich das Leben vorstellen. Hat seine Reize, war aber wohl eher eine Fingerübung.

9. Björn Kern (1978, Lörrach), äh...ja.

10. PeterLicht (20. Jhd, GER), der steckt ja kopfüber in einem Busch! Projekte und Bürgerlichkeit und Bobos, und am Ende steht eine Frau vor einem Wald und spielt Gitarre, und ich denke, "Speaking for Trees", wie sympathisch.

11. Silke Scheuermann (1973, Karlsruhe), "schreiben also zuerst als Rettungsaktion". Besser als die andern ABER.

12. Dieter Zwicky (1957, Mollis), "Arbeitet als Postangestellter". Mein Vater.

14. Lutz Seiler (1963, Gera). Ja, das geht. Gefällt mir. Ich bin auch mal von hoch oben weit hinunter gefallen und habe mir nur den Arm gebrochen.

15. Thomas Stangl (1964, Wien), Schöner Text über das Schreiben. Ich glaube auch immer, den Boden unter den Füßen zu verlieren, wenn ich etwas mit Worten nicht wiedergeben kann - und das passiert zu oft.

16. Milena Oda (1975, Jicin)

17. Kurt Oesterle (1955, Oberrot)

18. Fridolin Schley (1976, München), Andere Autoren zitieren, Wahrheit, Zeit.

19. Michael Stavarič (1979, Brno), Noch ein Selbstinterview. Ich finde Ernsthaftigkeit auch öde, wenn sie aufgesetzt ist, Humor aber auch. Der hier hat ein schönes Kleidchen an.

Viele Dinge werden spannender, wenn sie wie Sport aufbereitet werden. Der Wettkampf ist zu einer zwingenden Form geworden, da er die Aufmerksamkeit bündelt: so wird Literatur plötzlich nicht nur für Leser interessant, genau so, wie man sich Fußball auch nur wegen des Wettkampfs und nicht wegen des Sports selbst ansehen kann. Viel gravierendere Auswirkungen hat dieses Verhalten natürlich auf die Politik. Laut dem Juror Ijoma Mangold vergibt Klagenfurt "die Ressource Aufmerksamkeit, [...] nicht die Ressource Analyse und close reading". Ressource!

http://bachmannpreis.orf.at/bachmannpreis/autoren/
http://bachmannpreis.orf.at/archiv/stories/109844/

Vernünftiger mit dem Thema umgegangen (Bücher gelesen) ist/hat Sopran.

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