Friday, 9 November 2007

Christian Petzold - Gespenstergeschichten

Wenn Christian Petzold in einem Interview davon spricht, wie er die eindrucksvollen Räume mit den Schauspielern besucht hat, welche er in diesen spielen lassen will, wofür sie aber erst lernen müssten, darin zu leben, muss man gespannt zuhören, so eindrucksvoll und faszinierend ist das. Seit „Die innere Sicherheit“ und „Gespenster“ ist ja klar, dass es immer um Menschen geht, die irgendwie ihre soziale Verortung verloren haben und sich, um irgendwie zu erklären, wer sie sind, einander und sich selbst Geschichten erzählen, um irgendeinen Halt zu haben und weil der Mensch nicht existieren kann, ohne irgendeine Geschichte über sich selbst erzählen zu können. Was Menschen eine Bedeutung gibt, ein Erklärungsmuster, ist die Familie und der Ort, an dem sie arbeiten. Wenn die Familie, wie bei Nina in „Gespenster“, abhanden gekommen ist, oder es keinen Ort mehr gibt, an dem man bleiben kann, egal ob wegen einer ewigen Flucht oder dem Fehlen von Arbeit, entstehen ganz genau diese Figuren, die so haltlos und wie in einer Blase sind wie die Figuren von Christian Petzold.
In einem Interview zu dem neuen Film „Yella“, wiederum in Zusammenarbeit mit Harun Farocki entstanden, befasst sich nun mit dem Thema Arbeit, und findet dafür Orte, an denen die Arbeit verloren gegangen ist, ehemalige Zentren, deren Bedeutung verloren gegangen ist und die auch noch keine neue Bedeutung gefunden haben, leer stehen und langsam verfallen, obwohl die Erinnerungen an das Früher noch da sind. In „Yella“ ist das Wittenburge, seit 1989 schrumpfend, nachdem die Industrie abgewandert ist und die Bewohner mit ihr.
Das Gegensatzpaar zu der „Neutronenbombe“ in Wittenburge, die zwar alle Gebäude der Arbeit intakt, aber keine Menschen mehr zurückgelassen hat, bildet das Gelände der EXPO in Hannover. Dort, wo sich der Kapitalismus inzwischen eigentlich mangels einer funktionierenden Alternative nicht mehr als das bessere System präsentieren müsste, wuchert bereits das Moos, über einer Geisterstadt, die dafür errichtet war, Büros zu beherbergen, die dann aber niemand wollte. Der Verfall also in neoliberalem Tempo, und zwei Orte, die eigentlich keine Bedeutung mehr haben aber immer noch da sind. Die Menschen dazwischen sind ohne Verortung und treiben auf der Suche nach einer neuen Heimat herum, und die Konflikte entstehen daraus, dass sich die Interessen der Einzelnen bei dieser Suche selten decken. Jeanne muss ihre Eltern verraten um ein eigenes Leben führen zu können, Nina ist das Opfer von Toni, nachdem sie ihren kurzfristigen Nutzen erfüllt hat.
Bei William Gibson wird dann die Bewegung angedeutet, die in der Zukunft droht: zuerst wird eine Gegend für den Kapitalismus nutzbar gemacht, dann verschiebt sich das Interesse, ein Ort bleibt zurück, verliert den ursprünglichen Sinn (im Falle der viel zitierten „Oakland Bay Bridge“ den der Verbindung), liegt einige Zeit brach bis er von einer anderen Gruppe Menschen für ganz andere Zwecke benützt wird, etwa zum Leben, oder zum billigen Wohnen. Nach einiger Zeit kommt der Kapitalismus zurück, beutet die neuentdeckte Bedeutung wiederum für seine Zwecke aus, und verlässt dann die abgegraste Wiese. Das spannende an dieser These ist, dass die betroffenen Orte immer dann interessant sind, wenn der Kapitalismus gerade nicht da sind: also wenn sie entweder leer stehen und auf eine neue Bedeutung warten, oder wenn sie gerade in einem offenen Umbruch sind und eine neue Bedeutung erhalten. Dann entstehen eben diese eindrucksvollen Bilder und Filme von leerstehenden Orten, denen vielleicht noch die alte Benützung wie eine Geisterwelt überschrieben ist: das alte lässt sich noch erahnen, obwohl es nicht mehr da ist. Das oberste Ziel des Künstlers ist es, immer in dieser Übergangswelt zu leben und niemals in der faden, bereits erstarrten des Kapitalismus, in der nichts Neues mehr möglich ist. Woran bedient man sich, wenn man auffallen muss: Bestimmt nicht am Mainstream, der nicht einmal mehr schocken kann, auch wenn die Provokation manchmal alleine durch Schlagzeilen herbeigeführt werden soll. Ohne independent music wäre der Mainstream schon seit 50 Jahren tot, und ohne Regisseure, die ihre Fähigkeit in einem nichtkommerziellen Vorfeld schulen können, gäbe es keinen Hollywoodfilm mehr. Das ist eine Wechselbeziehung, und der Konsument, der, egal wofür er sich entscheidet, immer Konsument bleiben wird, kann auswählen, zu welcher Sphäre er sich rechnen lässt. Aber wer nicht selbst produziert, wird niemals mehr sein als Konsument: zwar Teil eines Kreislaufes, und auch ein Rädchen, welches das ganze am Laufen hält, aber immer noch niemand, der Inhalt produziert.
Aber zurück zu Christian Petzold, der erzählt, wie Orte eine Bedeutung erhalten, oder für Filme dahingehend umgeformt werden und denen dann doch etwas fehlt, um real zu sein, und wie man im Deutschen Film nicht mehr Menschen filmt, wie sie gehen, und irgendwelchen unsinnigen Klischees folgt, wenn man Konversationen filmt, bei denen dann immer der Sprechende im Bild ist und somit gänzlich die Wirkung verloren geht, welche die Worte auf den Gegenüber haben. Vieles von dem, was da gesagt wird, erklärt, warum die Filme von Christian Petzold auf den Zuseher diesen Sog entwickeln, dass man sich draußen auf der Straße nachher richtig entwurzelt fühlt, als wäre da grade etwas passiert, das man erst mal verarbeiten muss um überhaupt weitermachen zu können.
So wird dann detailliert analysiert, wie der Neue Kapitalismus wirklich funktioniert, mit welchen Zeichen, ungeschrieben Gesetzen, und welche Geschichten dahinter stehen. Das ist der präzise Blick auf Abläufe, die trotzdem noch verständlich bleiben. Und ich glaube, gerade weil Christian Petzolds Filme eine intensive Wirkung auf mich haben, werde ich niemals „Die fetten Jahre sind vorbei“ oder „Free Rainer“ von Hans Weingartner sehen können, ohne dabei ein flaues Gefühl im Magen zu haben, dass das Teil des Problems und nicht der Lösung ist, wenn eine fast christliche Läuterung mit einfachen Mitteln dargestellt wird und am Ende steht dann die Erlösung, die bessere Welt, weil der Einzelne eben doch noch etwas tun kann, um die Welt zu verbessern.

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