Friday 21 December 2007

Intro 12/07

2007. Ein neues Jahr, ein altes Jahr, man muss zurückblättern, um die Grenze so richtig ziehen zu können. Eine neue Regierung hier, einige auch woanders. Neue Namen, neue Gesichter. Wer wirklich etwas bewirken will, muss sich auf etwas konzentrieren, das klein genug ist, um erfasst werden zu können – doch die Entscheidung fällt schwer, zu viel erscheint relevant. Politische Theorie, der Neue Geist des Managerialismus, der Dank der Veröffentlichung des Werks von Chiapello und Boltanski den Weg in alle möglichen Felder gefunden hat, die Kunst, die Neue Selbstständigkeit, die für zu Viele schlicht und einfach Prekarisierung, nicht Freiheit bedeutet. Was ist das? Einerseits wollen, dass Menschen selbstbestimmt kreativ arbeiten können, andererseits ablehnen, dass dieser Zwang zur Kreativität in Verbindung mit dem Neoliberalismus einfach nur jeglichen Zusammenhalt untergräbt, da plötzlich nur noch das Individuum im Netzwerk zählt, das sich ständig in Projekten neu organisiert, aber niemals wirklich politisch handlungsfähig wird und somit die Regeln, nach denen es handeln muss, in Wirklichkeit gar nicht mitbestimmt, was gut läuft, solange es funktioniert, und gar nicht mehr, wenn etwas schief geht.

Wo positioniert sich die Kunst? Die Musikwelt ist zerrissener als je zuvor: während sich die Jugendlichen der Welt auf den Festivals versammeln, um Musik zu hören, veröffentlichen andere Bands ihre Musik auf MySpace, spielen Konzerte, bauen sich eine Basis auf und klingen dann auch nicht mehr viel interessanter als ihre Umgebung, weil aus jeder kreativen Idee sofort eine ganze Bewegung wird, die bald zu einer Masse wird, aus der nichts mehr herausscheint. Aus dem ironisch gemeinten New Rave wird, weil tanzbar, schnell ein neuer Grundkonsens, der einige Monate später nichts mehr zurücklässt. Aber ist das so schlecht, dass Künstler hier inzwischen schon genau so schnell wieder verschwinden wie im Mainstream, dem sich doch inzwischen sowieso niemand mehr zurechnet? Radiohead verkaufen ihr Album über das Internet und lassen es ihren Fans frei, wie viel und ob sie überhaupt dafür zahlen wollen – die Reaktion darauf ist, dass niemand mehr über die Musik spricht, sondern nur noch über die Vermarktung. Einige Monate später spricht man dann über die Musik, aber erst, als diese regulär auf CD erscheint – für jene, die weiterhin etwas in der Hand haben wollen, konsequent als Luxus-Set mit allen haptischen Specials. Niemand weiß, wie Musik in einigen Jahren verfügbar sein wird, was besonders für jene mit großer Platten- oder noch schlimmer, CD-Sammlung, erschreckend ist: vielleicht wird man früher oder später auf einem Haufen unlesbarer Daten sitzen und kann noch verträumt die Booklets durchblättern, während man sich die Musik nur noch digital anhören kann, ohne den Genuss, etwas aus der Hülle zu nehmen und wo einzulegen? Und wie fühlt sich das alles für jene an, die es anders gar nicht gekannt haben, die in ihrer Kindheit nicht mit Hörspielkassetten aufgewachsen sind, die man noch spulen musste?

Fast könnte man diese Unsicherheit symbolisch für alles nehmen, was in der Welt passiert. Alles ist prekär: die Energieversorgung, das Klima, der Arbeitsmarkt, die soziale Sicherheit, die Familien, die Grenzen, die zwar innerhalb der EU fallen, nach außen aber immer stärker werden, auch wenn "Fortress Europe" inzwischen schon genau so überstrapaziert ist wie "Web 2.0.". Und überall dort, wo scheinbar etwas spannendes passiert, sind sofort tausende, die darüber berichten – man könnte meinen, die ganze Welt bestünde nur noch aus Menschen, die aufregende Communities, besonders globalisierungstypische Orte (oder Megacities) und soziale Systeme aufspüren, um dann Filme, Musik, Blog Posts oder Bücher darüber zu machen. Das ganze Leben ist ein einziger Abenteuerausflug für jene, die es sich leisten können, und eigentlich genug Zeit dazu hätten, zu reflektieren, was sie da tun.

Um jene, die es nicht geschafft haben, kümmert sich das Reality TV. Wer in keine der beiden Gruppen fällt: eine konstruierte obere Mittelschicht, die sich einen bohemenian lifestyle erkauft, oder eine nicht weniger fiktive Unterschicht, die sich von Fast Food ernährt und in Sprachlosigkeit gefangen ist, muss sich, um nicht in stetiger Unzufriedenheit oder Angst vor dem Abstieg zu leben, an etwas anderem orientieren. Etwa an den guten Seiten der Neuen Selbstständigkeit: Die Gute Seite. Wo anarchistisch für eine Art von Kreativität geworben wird, die sich gegen das Diktum der totalen Vermarktbarkeit stellt, und vor allem gegen diesen absurden Drang, alles immer gesetzlich regeln zu müssen, und zwar nicht, um jemanden zu schützen, sondern um den Gewinn zu sichern. Das könnte ein wirklich gutes Feld für Engagement sein: die Creative Commons, die aufmerksamen Datenschützer, die sich gegen Überwachung der Bevölkerung wendet, die unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung geschieht, aber letztlich dafür verwendet werden wird, auf Festplatten nach Musik und Filmen zu suchen, Kundenrelevante Informationen zu sammeln und diese teuer zu verkaufen usw. Was das Internet als Medium sein kann beweisen Blogger, Comiczeichner, Schriftsteller, Podcaster, die ihre Werke gratis verfügbar machen und ohne viel finanziellen Aufwand kreativer sind als Hollywoodfilme, die Millionen kosten. Da stellen ein paar Menschen Fanfiction her, die klingt wie professionelle Hörspielkassetten und die hungrigen Mäuler trauriger Buffy-Fans stopft, in dem sie eine Saison zwischen fünfter und sechster (für manche Fans: damals, als alles noch in Ordnung war) produzieren, inklusive Sprecher, die ihre Charaktere perfekt nachahmen, story arcs und Dialogwitz, der den mancher weniger guter Episoden übertrifft! Da stellt eine talentierte junge Schriftstellerin einen Roman, den die Romane nicht wollten, als Audiobook zu Verfügung! Vielleicht liegt darin ja die richtige Zukunft der "Entertainment-Industry": Jeder konsumiert und produziert, und Dinge müssen nicht mehr viel Kosten, um gut und verfügbar zu sein. Etwas in der Art gab es ja schon vorher: das ist DIY für das 21. Jahrhundert.

Andererseits: in einigen Jahren wird die Menschheit sowieso untergehen. Das Klima wird alles verändert. Einmal wird sich nicht die Gesellschaft schneller ändern als die Welt, sondern die Welt schneller, als sich die Gesellschaft daran anpassen kann. Das ist eine doppelte Untergangsstimmung: einerseits die Österreichspezifische, die sich darin beläuft, nicht das Gefühl zu haben, in den nächsten Jahren der Ort für die spannendsten Veränderungen zu sein und vielleicht in diesem ganzen Wettlauf um den Zukunftsstandort ordentlich auf der Strecke zu bleiben (denn inzwischen wandert nicht nur die Produktion ab, sondern auch die Dienstleistungen, die Forschung, die Ideen selbst). Eine Freundin, die viel unterwegs ist und mehr sieht als ich, meint, hier passiere schon viel, aber eben nicht unbedingt viel Gutes, und dort, wo Gutes passiert, sind auch immer nur die selben Leute, das strahlt nicht aus, schafft es irgendwie nicht nach draußen, und ist damit noch dazu wahrscheinlich recht glücklich, schließlich tötet nichts eine Szene so effektiv, wie zu großer Andrang von Menschen, die sich gar nicht sicher sind, ob sie dort nur gesehen werden wollen oder das auch wirklich gut oder zumindest interessant finden.

Ja, am Ende noch eine neue Erkenntnis: Warum darf man etwas nicht mehr einfach gut finden? Warum ist es verboten, begeistert zu sein, ohne dies gesellschaftspolitisch oder intellektuell begründen zu können? Warum darf Musik nicht einmal einfach die Gefühle ansprechen, warum muss man bei Konzerten mit unsinnigem Insiderwissen rumstehen, kluge Erkenntnisse austauschen, auf jeden Fall immer bloß "drüberstehen" und sich auf gar keinen Fall mitreißen lassen, höchstens Mal in einem kollektiven, teils drogeninduzierten Tanzwahn, um dann von dem Massenerlebnis schwärmen zu können? Warum nicht einmal etwas mit einem anderen Menschen Teilen wollen, nicht um dann als cooler oder besser oder informierter dazustehen, sondern einfach nur aus Begeisterung für eine Sache, die man gerne teilen WILL, damit sie noch besser wird? Vielleicht würde mehr Begeisterungsfähigkeit ja auch gegen die Klimakatastrophe helfen, wer weiß.

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