Saturday 19 January 2008

Peripherie-Theorie, I

Die spezifische suburbane Zone, in der ich wohne, ist nach amerikanischem Vorbild gestaltet. Sie basiert auf der Idee, dass billiges Wohnen auf großem Raum nur am Stadtrand möglich ist, darauf, dass man für die Kultur wegfährt und das Grüne vor der Tür hat, nicht andersrum. Der tägliche Bedarf wird in großen Einkaufszentren gedeckt, die nur mit dem Auto erreichbar sind: Diese Zonen sind zwar auch öffentlich passabel angebunden, aber doch nicht so, dass ein wirkles freies Bewegen ohne Auto möglich wäre.
Meine Schule lag direkt neben dem größten Wiener Einkaufszentrum. Das bedeutete, jeden Tag zweimal durchzugehen, dort das Mittagessen zu kaufen, die Kleidung, Hefte, dort ins Kino zu gehen, dort Kaffee zu trinken. Das Einkaufszentrum war der Mittelpunkt unseres sozialen Lebens. Deswegen habe ich eine Art Hassliebe für jede Art von shopping mall: Ich fühle mich dort zu Hause, ich habe das Gefühl, dass mir die skills, die dafür notwendig sind, ins Blut übergegangen sind, und doch hasse ich sie, weil ich dort nie finde, was ich suche, weil sie laut, hell und stickig sind, weil sie das Gegenteil von schön sind. Sie sind praktisch, und sie sind schuld daran, dass ich mich in jedem Geschäft, in dem mehr Verkäufer sind als Kunden, unwohl fühle, weil ich gerne ignoriert werde, weil ich gerne unsichtbar bin, statt für guten Service, begeistertes Spezialwissen und allgemein die Idee, dass Menschen, die etwas verkaufen, von ihrem Produkt wirklich überzeugt sein könnten, dankbar zu sein.
Heute probierten wir ein neues Einkaufszentrum aus: Es heißt Stadion-Center, wurde für die EM neben dem Stadion (duh) beim Prater gebaut, und wird in einigen Monaten an die U2 angebunden sein, denn der einzige gute Grund, ein großes Event auszurichten, ist eine anhaltende Verbesserung der Infrastruktur. Dort ist alles zu groß, es ist wenig los, weil es im Moment eben nicht direkt an der U-Bahn liegt, sondern abseits, es ist ein bisschen zu modern. Die Verlängerung der U2 bis zum Stadion und in den darauffolgenden Jahren bis nach Aspern verändert den ursprünglichen Charakter: Bis jetzt war die kürzeste der fünf Wiener Linien quasi eine Minderheiten-Kulturlinie, mit der Uni, Rathaus, Museumsquartier und Volkstheater zu erreichen waren. Sie könnte potentiell bewirken, dass der gesamte aus Stadlau kommende Verkehr nicht mehr länger über Kagran (also die U1) läuft, sondern direkt über die U2 - womit Kagran noch weniger der Mittelpunkt des Bezirks wäre, die Teile, die aber weiterin darauf angewiesen sind, dass die Infrastruktur dorthin gut funktioniert, jetzt vielleicht weiter marginalisiert werden. Ich frage mich, wie es dort in 20 Jahren aussehen wird, wenn diese für Kleinfamilien konzipierten Häuser für etwa zwei Kinder nicht mehr passend sind: ob immer mehr noch weiter hinausziehen werden, und andere wieder zurück in die Innenstadt, und dieser Speckgürtel dann zu einer aufregenden Zone wird, weil dort dann wirklich nur noch die wohnen, die nirgends sonst hinkönnen.

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