Monday, 18 August 2008

A History of Violence

In der Anfangsszene von David Cronenbergs "A History of Violence" sitzen zwei Männer im Auto. Einer geht in das dahinterliegende Gebäude, kehrt nach einiger Zeit wieder zurück, befiehlt dem jüngeren missgelaunt noch mehr Wasser aus dem Wasserspender zu holen, der dies widerwillig tut: Und auf seinem Weg durch das, was sich als Motel herausstellt, an den offensichtlich zuvor ermordeten ehemaligen Mitarbeitern vorbeigeht, unberührt. Bevor die Szene endet, erschießt er noch die letzte Überlebende, ein verängstigtes Mädchen.
Der Übergang in die "friedliche Kleinstadt", die nur aus einer Hauptstraße besteht, ist hart. Tom Stall (Viggo Mortensen) lebt in Millbrook, Indiana, er hat dort ein gut laufendes Diner. Seine Ehefrau (Maria Bello) ist Anwältin, er hat eine bezaubernde Tochter und einen pubertierenden Sohn, der die Probleme mit den Bullies in der Schule löst, ohne Gewalt anzuwenden. Die Kleinstadt wird mit all ihrem Charme etabliert. Alle kennen sich, alle grüßen sich, alle sind geborgen.
Der Bruch kommt, als die Erinnerungen an die erste Szene brutal zurückkehren. Die beiden schon als Mörder etablierten Männer betreten das Diner. In ihrer Gewalttätigkeit liegt keine Rationalität, keine Zielstrebigkeit. Um ihre Position zu verteidige, sind sie bereit, eine von Toms Mitarbeitern zu töten, bloß um zu beweisen, dass sie es ernst nehmen. Aber Tom, der zuvor zu deeskalieren versucht hat, der bereit war ihnen alles zu geben, solange die Situation ohne Gewalt zu lösen ist, verwandelt sich von einer Sekunde zur anderen in eine Maschine. Er tötet die beiden.
Cronenbergs Kunst ist es, in dieser Szene Bilder zu verwenden, die der Zuseher sonst nur aus unrealistischen Actionfilmen kennt. So wird der Kampf zu etwas, dass doppelt nicht ins Bild passt, nicht in die friedliche Kleinstadt, nicht in das Genre des Films. Tom scheint instinktiv zu handeln, vollkommen losgelöst vom Nachdenken über sein Handeln. Die Bewegungsabläufe scheinen eingebettet zu sein, natürlich.
Nachdem er nun zu einem über die Grenzen des Bundesstaates hinaus gefeierten Helden geworden ist, reagiert er, wie es von einem zurückhaltenden, den Frieden liebenden Mann zu erwarten ist. Er hofft, dass das Interesse an seiner Person bald verschwinden wird, dass er ungestört weiterleben kann, dass alles wieder in die gewohnten Bahnen zurückkehrt. Aber das Gegenteil passiert. Ein Ereignis von solcher Brutalität muss Spuren hinterlassen, und für Tom und seine Familie gibt es kein zurück mehr in eine Normalität. Der Übergang erfolgt nicht sanft, sondern wieder brutal.
Eines Tages hat Tom wiederum Besuch in seinem Diner, und der Mann, der ihm mit seinen beiden Leibwächtern gegenüber sitzt (unheimlich gespielt von einem gealterten Ed Harris), behauptet konsequent, Tom sei Joey, und dass dieser Joeykein freundlicher, beliebter Zeitgenosse ist, wird in dem Gespräch deutlich. Der Zuseher geht natürlich, genau wie der Sheriff und Toms Familie, von einer Verwechslung aus. Die Gangster werden verwarnt, nicht zurück zukommen, aber natürlich kommen sie zurück, und spätestens nach der zweiten Begegnung fragen sich sowohl Toms Frau als auch der Zuseher, ob Carl, der so überzeugt davon ist, Recht zu haben, wirklich falsch liegt, oder ob in Toms Vergangenheit (dass er nicht aus der Stadt kommt, wird zuvor angedeutet, als seine Frau meint, sie hätten die Jugend nicht zusammenverbracht) tatsächlich ein großes Geheimnis liegt.
Inzwischen hat die Gewalt schon längst einen weiteren Weg in die Familie gefunden, den der gequälte Sohn, der seinen Vater als Helden verehrt, hat nun keinen Grund mehr, den Attacken des Footballstars weiterhin nur mit verbaler Verteidigung zu begegnen. Wie er in einem plötzlich ausbrechenden Akt der Gewalt erkennt, verfügt er über die gleichen geheimnisvollen Talente wie sein Vater, und er verfügt über die Bewegungsabläufe, die Schaden anrichten, mit der gleichen natürlichen Leichtigkeit. Und so ist es letztlich auch er, der die Familie rettet, indem er mordet.

"I spent three years becoming Tom Stall."

Man kann eine Identität nicht einfach abstreifen und eine neue annehmen. Nicht dass Cronenberg sich die Mühe machen müsste, näher zu erläutern, ob diese Form der Gewalt genetisch bedingt ist, ob sie zielgerichtet ist, ob sie sich langsam einschleicht oder plötzlich ausbricht - für solche Interpretationen muss der Film nicht herhalten. Was sie physisch anrichtet wird gezeigt, ohne dass ihr deswegen eine besondere Ästhetik wie bei Tarantino zukäme. Die Wunden, das Blut, die Verstümmelung, sind das, was sie sind. Klar ist nur, dass sie nicht mehr verschwindet, wenn sie einmal ihr Gesicht gezeigt hat.

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