"Erst 20 Minuten vor Sendungsende gab es das erste ernsthafte Säbelrasseln. Doch das täuschte Dienstagabend beim zweiten ORF-Wahlduell darüber hinweg, dass Alexander Van der Bellen und Werner Faymann in etlichen Fragen - Klimapolitik, Mehrwertsteuersenkung für Lebensmittel und der EU-Politik - komplett unterschiedlicher Meinung waren."
Presse, 26. August 2008
Das ist der erste Wahlkampf, den Werner Faymann als Spitzenkandidat führt, es ist die erste TV-Diskussion mit einem anderen Spitzenkandidaten. Die erste Frage, die sich stellt: ist es für den frischgewählten SPÖ-Vorsitzenden gut, in der ersten Diskussionsrunde gegen Van der Bellen anzutreten, und nicht gegen einen Politiker, mit dem es mehr offensichtliche Reibungsflächen gäbe? Die Antwort darauf kann erst nach Faymanns erstem Gespräch gefunden werden, in dem er mit einem aggressiveren Gegenüber konfrontiert ist als Van der Bellen.
Diese Diskussion war themenbezogen, über weite Strecken hin ruhig: Aber "the devil lies in the details". Grüne und SPÖ sind sich, was die Probleme selbst betrifft, einig, aber die Herangehensweise ist in manchen Gebieten (vor allem Steuerpolitik und Klimapolitik) verschieden, was in der Natur ihrer Parteien liegt. Die SPÖ muss eine breite Masse der Bevölkerung ansprechen und Nichtwähler mobilisieren, sie kann sich keine unpopulären Programme, wie sie etwa die Grünen in der Verkehrspolitik fahren, leisten. Bei den Grünen ist es genau anders: würden sie von ihren Kernthemen abweichen, würden sie damit bloß in ein Feld vorstoßen, in dem andere Parteien schon längst sicher im Sattel sitzen, und noch ihre dazu auf Authentizität versessene Wählerbasis verlieren. An den Rändern (gut verdienende WählerInnen, denen vor allem die Grüne Sozialpolitik gefällt, ohne dass für sie Umweltpolitik den gleichen Vorrang hätte) knabbert schon das LIF.
Es war, trotz zweier Kontroversen, eine sachliche Diskussion. Am Anfang stand, wie schon in der ersten Runde, die Teuerung. Die SPÖ ist für eine Senkung der Mehrwehrtssteuer auf Lebensmittel noch vor der Wahl. Van der Bellen ("Das wäre ein Super-GAU") kritisiert daran die fehlende Treffsicherheit. Das wird eines der Lieblingsstichwörter dieses Wahlkampfes. Eine Senkung der Mehrwertsteuer würde alle entlassen, um das gleiche oder weniger Geld könnte laut Van der Bellen
- Die Negativsteuer verdoppelt oder verdreifacht werden (die Negativsteuer betrifft Arbeitnehmer, die zu wenig verdienen, um Lohnsteuer zu zahlen, und deswegen auch nicht von einer Senkung dieser profitieren würden)
- Kindergarten bundesweit gratis angeboten werden.
Faymann deutet an, dass ihm eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung mit den Grünen nicht unangenehm wäre ("wir sind in der Frage der Steuersenkung nicht weit auseinander"). Die Konzepte im Bereich des Kindergartens sind allerdings verschieden, aber da habe ich inzwischen schon so viele verworrene Ideen der Parteien gehört (bei der FPÖ muss man immer "Ja, aber nur für Inländer" dazudenken), dass ich nichts dazu sagen will. Die übliche Forderung, über die sich eh alle irgendwie einig sind: Mehr Geld für KindergartenpädagogInnen, eine bessere Ausbildung. Ich kenne viele, sie wurden exzellent ausgebildet, aber der Kindergarten ist halt genau der Ort, an dem viele ungelösten sozialen Probleme zusammenkommen. Wer ist dafür zuständig, dass die Kinder Deutsch lernen (ALLE Kinder, Sprachdefizite gibt es quer durch Nationalitäten und Schichten), dass sie auf die Schule vorbereitet werden, dass das Fehlen von Eltern ausgeglichen wird, die in einem immer stressiger werdenden Arbeitsalltag stecken?
Ein neuer Trend ist allerdings, die Kosten, die Familien für Kindergarten tragen müssen, gegen die Studiengebühren auszuspielen. Kindergärten sind viel teurer als Studiengebühren. Faymann und Van der Bellen vermeiden eine Diskussion über das Thema (beide sind für die Abschaffung, aber ich habe schon lange keine Diskussion gehört, die mit Argumenten gearbeitet hätte). Die Universitäten sind so oder so unterfinanziert, was jeder österreichische Student am Semesteranfang merkt, wenn nur halb so viele Lehrveranstaltungen angeboten werden wie notwendig.
Jetzt das heiße Thema, in dem die beiden Parteien ideologisch ganz weit auseinander sind: Klimapolitik. Die Grünen hatten auf die Nachricht, dass höhere Benzinpreise tatsächlich einen Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel und weniger gefahrene PKW-Kilometer bewirken, wahrscheinlich eine ähnliche ambivalente Reaktion wie ich. Hier fehlt die - sagen wir es gemeinsam - Treffsicherheit. In Worten hört sich das so an:
"Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass der Ölpreis hoch ist und hoch bleibt und wahrscheinlich weiter steigen wird. Und etwas anderes der Bevölkerung einzureden ist Volksverdummung."Die Forderungen sind eine flächendeckende LKW-Maut und ein "Stopp des Straßenausbaus", was vielleicht die kontroversiellste Grüne Forderung ist. Die Benzinpreise haben eine Citymaut und eine kilometerabhängige PKW-Maut mehr oder weniger unnötig gemacht. Faymann, amtierender Verkehrsminister, ist natürlich anderer Ansicht, für ihn bedeutet Klimapolitik Konzentration auf Energieeffizienz, Sanierung von Gebäuden (er war jahrelang Wiener Wohnbaustadtrat). Er betont, dass österreichische Betriebe im Bereich der Forschung an der Spitze liegen (was aber nichts mit Klimapolitik zu tun hat, oder?). Das Stichwort hier: Sozialverträglichkeit.
"Wollen Sie mir im Ernst einreden, wollen Sie der Öffentlichkeit im Ernst einreden, dass Österreich im Bereich des Klimawandels seine Hausaufgaben gemacht hat?"
Hier zeigt sich: Die Grünen haben ihre Themen, da gibt es eindeutige Positionen und sogar Prinzipien, die vielleicht unangenehm oder unpopulär sind, aber doch, irgendwie, und das haben doch in Wirklichkeit viele im Hinterkopf, realistisch. Weil die Lösung für sich erschöpfende Ressourcen und zweier riesiger Staaten, in denen langsam eine breite Masse der Bevölkerung auch das Geld hat, um Autos zu kaufen (Indien, China), und Krisen in ausgerechnet den Gebieten, in denen sich die Rohstoffe befinden, und Russland, nicht einfach vom Himmel fallen wird. Die Frage: Warum wird der Wahlkampf nicht konsequenter so geführt? Würden die Grünen wirklich so viel verlieren, wenn sie statt der gleichen hohlen Botschaften, die andere Parteien auch plakatieren (bla wir täten nicht so viel streiten bla), Themen ansprechen würden? Gerade wo die Grünen am schwächsten sind, wenn sie sich nicht positionieren.
Der Abschluss der Diskussion: Die EU. Faymanns Leserbrief. Faymann ist übrigens die ganze Diskussion über genau so verschlossen, wie der Gesichtsausdruck auf all den sehr roten Wahlplakaten. Vielleicht finde ich mal jemanden, der mit mir mutmaßt, was unter dieser Fassade liegt. Van der Bellen wählt scharfe Worte und nennt den Lesebrief eine "Unterwerfungsgeste", die absolut unangemessen für einen Politiker ist, der den "Führungsanspruch" erhebt. Faymann geht darauf nicht ein und wählt sicheres Gebiet, spricht über die Arbeitnehmerpolitik in der EU, über eine notwendige Kursänderung, und eine grundsätzliche Zustimmung zum "Größten Friedensprojekt unserer Zeit" (erinnern wir uns: die hat die ÖVP gefordert, die grundsätzliche Zustimmung.) Die Grünen wären für eine europaweite Abstimmung, nicht 27 Volksabstimmungen in 27 EU-Staaten.
Faymann spekuliert nicht darüber, was wäre, wenn die SPÖ 2. wird (Opposition oder Vizekanzler).
Resumé: Die SPÖ gewinnt nicht viel, wenn sie in der Kernwählerschaft der Grünen fischt, sie muss Nichtwähler mobilisieren und die, die zwischen ÖVP und SPÖ schwanken (spannenderweise steigt die SPÖ überhaupt nicht auf den Ausländerwahlkampf ein, als würden sie das wirklich der ÖVP überlassen wollen, die versucht, da von der FPÖ und dem BZÖ noch was zurückzuholen. Da bin ich schon auf die Diskussion Molterer-Haider nächste Woche gespannt, wir sehr sich die ÖVP von den ganz rechten Positionen abgrenzt oder eben auch nicht.)
Ich würde sagen, wenn es hier ums gewinnen geht, ist Van der Bellen aus der Diskussion besser ausgestiegen als der Gegenüber, aber ob sich beide gegenseitig Wähler abspenstig gemacht haben, ist eine andere Frage. Positioniert haben sich wahrscheinlich die Grünen besser, oder so gut es ging, und Faymann blieb ein bisschen blass und pragmatisch wie erwartet, ohne sich wirkliche Blößen zu geben - aber auch ohne wirklich gute Ideen. Die "Aufkündigung des Stillhalteabkommens" mit der ÖVP (die Vereinbarung im Regierungsabkommen, einander im Parlament nicht zu überstimmen) hat der SPÖ eher nicht geschadet, aber viel rauskommen wird dabei auch nicht, weil sich die FPÖ hüten wird, so kurz vor der Wahl zum Wahlhelfer der SPÖ zu werden.
"Auf den Tag sieben Wochen musste Josef Broukal warten, um Genugtuung zu bekommen: Am Tag 49 nach seinem Rücktritt als Wissenschaftssprecher der SPÖ aus Protest gegen die von seiner Parteispitze verhinderte Abschaffung der Studiengebühren mit Grünen und FPÖ, verkündete SPÖ-Chef Werner Faymann, dass er nun bereit ist, den Anfang Juli noch vorgeschobenen Nichtangriffspakt mit der ÖVP brechen zu wollen. "Fünf Punkte für die Bevölkerung" mit einem Volumen von rund 1,3 Milliarden Euro will Faymann noch vor der Wahl im Parlament beschließen, nicht mit Ex-Koalitionspartner ÖVP, sondern mit der Opposition."
Standard, 25. August 2008
Wer glaubt Umfragen? Laut NEWS ist nicht nur Faymann beliebter als Molterer (Krone-Schlagzeile), inzwischen hat die SPÖ die ÖVP überholt (28 zu 26 Prozent). Mit Bedacht zu genießen, spiegelt aber vielleicht doch wieder, dass die ÖVP in den letzten Wochen irgendwie den Einstieg in den Wahlkampf verpatzt hat. Und die einzige Partei ist, die sich nicht traut, den eigenen Spitzenkandidaten auf die Plakate zu drucken. Aber mehr dazu am Donnerstag.
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