„Wirklich weinen habe ich ihn meistens dann gesehen, wenn ihn wieder einmal einer seiner Freunde verlassen hatte. Aber viel öfter habe ich ihn nicht weinend, sondern weinerlich erlebt. Jörg Haider hat eine manisch-depressive Ader. Wenn’s ihm gut geht, dann steigt er in den Hubschrauber und fliegt durchs ganze Land. Aber wenn’s ihm schlecht geht und dann auch noch etwas schief geht, agiert er oft wie ein kleines Kind, das sein eigenes Spielzeug zerstört.“
Norbert Steger über seinen ehemaligen Freund Jörg Haider in Datum, 11/2007, S 82
2000 saßen meine Eltern mit mir in einem Zug Richtung Urlaub. Gegenüber saßen Deutsche Touristen. Die EU-Sanktionen lagen in der Luft, und ich, mit meinen bisher sehr unpolitisch verlaufenden 13 Jahren war darauf bedacht, diese armen, unschuldigen Menschen durch provokative Aussagen dazu zu bringen, etwas über Jörg Haider, den Zustand der österreichischen Regierung oder die Entscheidung der Österreicher zu sagen. Ich würde jetzt gerne behaupten können, dass ich entsetzt war, mir heimlich wünschte, dass fremde Truppen ins Land einmarschieren und die blau-schwarze Regierung unter Schüssels Führung gewaltsam absetzen würden, aber tatsächlich fühlte ich mich durch die Sanktionen in meinem Nationalstolz gekränkt – ein Nationalstolz, von dem ich bis dahin noch nichts wusste, und der in den darauffolgenden Jahren ins Nirgendwo verschwand. Die Situation war ja absurd: die Volksentscheidung war eindeutig gewesen, die FPÖ knapp aber doch zweitstärkste Partei im Land, dass Schüssel davor gemeint hatte, als drittstärkste Partei (denn dieses Ergebnis zeichnete sich doch deutlich in den Umfragen ab, und die müssen bezüglich der FPÖ immer noch statistisch korrigiert werden, da die Bekennerrate gering ist) würde man in Opposition gehen: Dann folgten monatelange Verhandlungen, bei denen die bisherigen Koalitionspartner wie wilde Tiere umeinander herumschlichen, sich gegenseitig betrogen, ausspielten, und am Ende wurde das Land von der drittstärksten Partei regiert, im Anhang nicht das erstemal aber doch die FPÖ. Und in diesem Zugabteil hätte ich diese demokratische Entscheidung, die das österreichische Volk getroffen hatte, mit all meinen rhetorischen Möglichkeiten verteidigt: in einer Demokratie muss eine Volksentscheidung akzeptiert werden. Die FPÖ war eine legitime politische Partei, und die EU-Sanktionen ein symbolischer Akt spezifisch gegen Österreich, ein Akt, den sich die EU gegen kein anderes Land bisher erlaubt hat, auch wenn inzwischen schon einige Parteien europäische Staaten regiert haben, die den Kohl’schen Verfassungsrahmen gesprengt haben.
Aber zurück zum Titel: Jörg Haider. Der, kaum war die Partei, welcher er als strahlender Sunny-Boy für jene Wählerinnen, denen das Argument „aber der schaut so hübsch aus“ was gilt“ zu ihren besten Ergebnissen verholfen hatte, in sein kleines Reich in Kärnten zurückkehrte. Die Parteispitze änderte sich von da an laufend, Susanne Riess-Passer, die inzwischen schon wieder in den dunklen Schleier des politischen Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms zu verschwinden beginnt, musste sich vor Gericht sogar für die persönlichen Ausgaben rechtfertigen. Die blauen Minister wurden rasend schnell ausgetauscht: eine Theorie dazu lautet, dass das erfahrene Personal der FPÖ, welches unter Umständen für diese Positionen qualifiziert gewesen wäre, den Prestigeverlust durch die EU-Sanktionen vermeiden wollte und sich rechtzeitig in die Privatwirtschaft verabschiedet hätte. Was blieb, war der Rest: und während sich die Regierung konstant Richtung Neuwahlen (Ende 2002, da war ich fast 16 und alles sah anders aus als drei Jahre zuvor) vorarbeitete, wurde die Jugend sozialisiert. Wir wuchsen mit bildungspolitischen Fehlentscheidungen auf, damit, immer ein Feindbild vor Augen zu haben, wenn wir über Politik diskutierten oder gegen Stundenkürzungen auf die Straße gingen. Der ORF war schwarz, und es dauerte eine Weile, bis sich in der Donnerstagnacht eine Schiene etablierte, die im Sinne der repressiven Toleranz die linken Geister unterhielt. Eine goldene Zeit, der die Kabarettisten die nächsten Jahre nachweinen werden (nachzulesen bei Thomas Maurers neuem Sammelband mit den Kurier-Kolumnen von 2001 bis 2007). Ich weiß noch, wie groß das Entsetzen bei den Neuwahlen war, als wir uns so sicher waren, dass jetzt alles besser werden würde, und dann kam am Ende das gleiche raus wie vorher, nur eigentlich noch schlimmer: Denn jene Partei, die wir intuitiv für alles verantwortlich machten, hatte dazu gewonnen, und der Konsens, der in unserer Klasse herrschte, in meiner Familie, schien sich gesamtösterreichisch nicht durchgesetzt zu haben. Ich glaube, diese Ernüchterung war einer der entscheidenden Momente meiner Polisierung: die Erkenntnis, dass die eigene Meinung, die eigene Wahrnehmung von Politik, offenbar meilenweit von der Mehrheit entfernt ist. Dazu noch die Wut, dass man selbst, mit 16, noch gar nicht wählen durfte, höchstens Plakate kleben für die Schulpolitik, und demnach von dem ganzen Entscheidungsprozess ausgeschlossen ist, obwohl man selbst natürlich davon überzeugt war, die staatsbürgerlichen Pflichten (sich informieren, eine Meinung basierend auf Informationen aus verschiedenen Quellen zu bilden) besser erfüllt zu haben als die Mehrheit der Bevölkerung, die tatsächlich die ÖVP zur stimmstärksten Partei des Landes gewählt hatte.
Die darauffolgenden vier Jahre waren eher eine Formalität: die ÖVP regierte quasi alleine mit einer Partei, die sich selbst als starke Oppositionspartei etabliert hatte und der ohne Kritik an den bestehenden Regierenden ein großer Teil der Schlagkraft verloren ging. Konsequenterweise zerfiel die FPÖ 2005: Jene Partei, welche den Namen behielt, war aber nicht mehr Regierungs-, sondern Oppositionspartei, und die Nachfolge der Regierungspartei FPÖ trat das BZÖ an, eine theoretische Neuschaffung, die sich als Produkt erst mal eine Marktlücke suchen musste. Das Bündnis Zukunft Österreich war eine Erschaffung Jörg Haiders, und ist jetzt noch eine Bundeslandpartei, die in Kärnten die Mehrheit hält, während sie im Rest des Landes eine marginale Minderheit bildet. Ohne politische Partner wie die CSU in Deutschland ist sie Absurderweise eine Regionalpartei, die es gerade noch geschafft hat, genug Stimmen für den Nationalrat zu sammeln. Der erste Versuch einer Positionierung als klassisch liberale Partei: Menschen in modernen Anzügen mit warmen, ansprechenden Farben (orange), die eine scheinbar wertefreie Politik predigen, die hauptsächlich einem fiktiven Mittelstand nützen soll, der in Wirklichkeit aus oberer Mittelschicht und unterer Oberschicht besteht. Nach den Wahlen in Wien wurde richtig erkannt, dass dieses breite Feld bereits von den bestehenden Parteien abgedeckt wird: und während die BZÖ diese wertvolle Zeit verlor, sich politisch zu etablieren, und noch dazu den Nachteil hatte, eine Regierungspartei zu sein, keine Oppositionspartei (und politisch etablieren kann sich eine neue Partei meist eher als Opposition, nicht als Regierungspartei), sammele die FPÖ unter Heinz-Christian Strache, der von Haider alles gelernt hat, was er über Parteiführung und Image wissen muss, die zurückgebliebenen, frustrierten Wähler auf, mit einem konsequenten, ausländerfeindlichen, semantisch als „inländer-freundlicher“ getarnten Wahlkampf. Am Tag der Wiener Wahl habe ich geweint: Die FPÖ drittstärkste Partei. Die erste Wahl, in der ich meine Stimme abgeben durfte. Und zu viele meiner Freunde meinten, sie wären nicht Wählen gegangen, da das Ergebnis in Wien sowieso schon seit ungefähr 50 Jahren feststeht: aber bei Wahlen geht es nicht immer nur darum, wer nach der Wahl entscheiden darf, sondern zu einem guten Teil auch um die Feinheiten: etwa, ob es eine rechte oder eine linke Mehrheit gibt, und welche Partei in meinem Heimatbezirk den dritten Platz erreicht hat.
Was ich damit sagen will: Jörg Haider hat sich mit seinem BZÖ falsch positioniert. Er wollte Erfolg, und hat nicht bedacht, dass er diesen mit seiner Wählerorientierung nicht erreichen konnte. Nachdem dies erkannt wurde, und ein merkbarer Umschwung Richtung gar nicht wertfreier Ausländerfeindlichkeit getätigt wurde (von neo-liberalem Gehabe war dann kaum noch was zu spüren, nicht einmal das ausgewählte Design blieb), war es dafür schon zu spät. Jörg Haider ist eine Marke, die überall außerhalb von Kärnten nicht mehr funktioniert, er ist ein Relikt aus den Neunzigern, in denen die Art, Politik zu machen, welche die heutige FPÖ unter Strache immer noch betreibt, entwickelt wurde. Ohne seinen politischen Ziehvater und die politische Kultur, welche die FPÖ als Oppositionspartei in den Neunzigern entscheidend mitgeprägt hat, wäre Strache heute ein Niemand ohne Acker, den er bebauen könnte. Das Timing könnte für ihn nicht besser sein: während in der Weltpolitik täglich von religiösem Fundamentalismus die Rede ist und damit IMMER die Muslime gemeint sind, kann er in aller Ruhe die alten Ängste vor dieser diversen Gruppe aus Asylwerbern, Flüchtlingen, legitimen und illegalen Einwanderern und Migranten, die längst schon die Staatsbürgerschaft haben, schüren. Als populistische, rechte Partei ohne viel intellektuellen Ballast kann es sich diese Partei leisten, bei komplizierten Fragen einfache Antworten zu haben, Äpfel mit Birnen zu vergleichen und nicht mit Fakten zu arbeiten, sondern mit beliebig ausgewählten Zahlen.
Was würde ich wohl heute sagen, wenn ich wieder 13 wäre und in diesem Zugabteil sitzen würde, mit einer Wut auf alles, was irgendwie mit der EU zu hat, deren Quelle ich heute noch nicht recht verstehe? Ich weiß, dass die EU-Sanktionen nicht geholfen haben, dass sie in Wirklichkeit die Lage noch verschlimmert haben, da sie der FPÖ (und der gesamten wackligen österreichischen Regierung) einen Opferstatus verliehen, mit dem diese dann erfolgreich Wahlkampf betreiben konnten. Trotz der schwachen Politik, die bis zu den Neuwahlen geleistet wurde, konnte die ÖVP Stimmen dazugewinnen, und das Argument, dass die damalige SPÖ-Führung an den EU-Sanktionen mitbeteiligt war, dieses uralte „Nestbeschmutzerargument“, dass in diesem Land er Skipatrioten immer noch wirksam ist, wäre ohne Sanktionen weggefallen. Die Wahl war eine demokratische Entscheidung, die Regierung demokratisch legitimiert. Ob man der ÖVP wohl jemals vorwerfen wird, dass sie nach den Wahlen von 2006 niemals eindeutig sagte, dass die FPÖ unter Strache kein möglicher Koalitionspartner wäre? Diese entscheidenden Jahre, die zwischen diesem Zugabteil und der Nacht im Oktober 2006 liegen, haben mich politisch zu dem gemacht, was ich heute bin: Jemand, der damit aufgewachsen ist, dass keine Partei, die ich gewählt hätte, an der Regierung beteiligt wird. Ich wurde als Opposition politisiert, als jemand, der immer die bestehende Regierung kritisieren kann: auf die gleiche Art und Weise, wie Demokraten seit der Bush-Regierung aufwachsen. Jetzt, da wieder eine große Koalition regiert, müssen alle, Wähler der großen Parteien, Wähler der linken Oppositionsparteien, kritische Künstler, eine neue Richtung finden, die funktioniert. Die einzige Partei, die von all dem profitiert hat, ist die FPÖ. Etwa 20 % sind leicht zu erreichende potentielle Wähler, denen die ÖVP zu liberal ist, und wenn die Lage besonders schlimm wird, könnten es auch ein paar Prozent mehr sein.
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