Wednesday, 24 September 2008

Sitzungsmarathon II


Die Tagesordnung der heutigen 72. Sitzung des Nationalrats auf der Seite des Parlaments. Dort finden sich auch die Anträge im Wortlaut. Die Abschaffung der Studiengebühren ist Punkt 14 der Tagesordnung.

1. Programmpunkt: Die aktuelle Stunde - von der SPÖ wurde ein Thema gewählt, das den Verkehrsminister Faymann betrifft, wohl, damit Faymann kurz vor der Wahl noch eine Ansprache halten kann.

Danach wird über die 25 Punkte diskutiert, die vor zwei Wochen durch eine Fristsetzung bis gestern auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung katapultiert worden sind, was Verfassungsexperte Theo Öhlinger als "„Husch-Pfusch“-Aktion bezeichnet hat.

Der Aufbau eines Intitiativantrags: Ein Initiativantrag kann von fünf Abgeordneten des Nationalrats eingebracht werden. Im ersten Absatz wird beantragt, ein bestimmtes Gesetz zu ändern, ohne dass erläutert wird, wie und warum. Dann werden die umformulierten, gänderte Bundesgesetze gelistet. Im Falle der Studienbeiträge sind das Universitätsgesetz 2002, das Hochschulgesetz von 2005 und das Studienförderngsgesetz 1992 betroffen. Am Ende dann eine Begründung.
"Die Studienbeträge sind aus bildungs- und sozialpolitischen Gründen abzulehnen. Österreich weist im internationalen Vergleich zu wenig Akademiker auf. Die Studienbeiträge sind ein wesentlicher Hinderungsgrund ein Studium an einer Universität zu beginnen und erfolgreich zu absolvieren. Zudem sind die Studienbeiträge gerade für Studierende aus einkommensschwachen Haushalten ein Hindernis ein Studium anzustreben. Die Studienbeiträge sind daher für leistungswillige Studierende abzuschaffen und es wird im Prinzip die Rechtslage vor Einführung der Studiengebühren wieder hergestellt." [link]
In einer "normalen" politischen Situation kann ein Initiativantrag natürlich nur erfolgreich sein, wenn er von Abgeordneten der Regierungsparteien kommt, da diese die Mehrheit im Parlament haben. So kann etwa das langfristige Begutachtungsverfahren einer Regierungsvorlage umgangen werden.

Der Abschlussbericht der Untersuchungskommission, die sich mit dem Innenministerium beschäftigt hat, wird auch heute präsentiert.

Dass der Hahn vor der Wahl noch mal ans Rednerpult (bzw. von der Regierungsbank, denn richtig, er ist "Wissenschaftsminister", aber gesehen oder gehört habe ich den für Universitäten zuständigen Minister nicht mehr trotz der Studienbetragsdiskussion) kommt hätte ich nicht gedacht, und dann noch so prominent innerhalb der ORF-Sendezeit.

Gestern erhielt Haider eine Antwort von der angerufenen EU, ob die Mehrwertsteuersenkung durchgehen würde oder nicht - die Antwort war NEIN. Daraufhin noch 12 Stunden Zeit, das BZÖ ins Boot zu holen - ob das wohl gelungen ist? Die zweite Frage ist, wie sich die ÖVP verhält, wo sie sich jetzt sicher sein kann, dass die Studiengebühren abgeschafft werden (die kurzfristig aus dem Ärmel gezauberten Forderungen der FPÖ wurden erfüllt).
"SPÖ, FPÖ und Grüne haben sich Montagabend auf einen Abänderungsantrag für den heute, Mittwoch, geplanten Beschluss zur de facto-Abschaffung der Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen an Unis geeinigt. Damit sollen nun nach der Genfer Konvention für Menschenrechte anerkannte Flüchtlinge explizit von der Bezahlung von Studiengebühren ausgenommen werden. Zudem bleiben die Zugangsbeschränkungen auch in Psychologie, allerdings soll die Zahl der Studienplätze von derzeit 1.600 in drei Jahren auf 2.400 ausgebaut werden - bei vollem Kostenersatz für die Unis. "

Standard, 23. September 2008
Das wäre ein eindeutiger Sieg für die SPÖ vor der Wahl - die Schlagzeile für morgen ist dann "Studiengebühren abgeschafft" (oder "Mehrwertsteuersenkung abgelehnt"). Kann man sich von dem Kuchen noch was abschneiden oder wird die ÖVP ab morgen einfach nicht mehr drüber reden? Wenn die SPÖ nicht auf die Mehrwertsteuersenkung bestanden hätte, mit der sie heute vielleicht untergehen, wäre das morgen ein schöner Tag so kurz vor der Wahl. Verstehe ich nicht, wer ihnen dazu geraten hat.

Hier die selbstaktualisierende Rednerliste und die Redezeit.

Was ich mich frage ist, wie eine Partei wie die ÖVP, die doch gegen eine Einmischung des Staats in die Wirtschaft ist, so offensiv dafür plädieren kann, dass "Europa" genau das tut. Und Europa ist natürlich immer gleich EU, was auch schon ein rhetorischer Fehler ist - Europa als Marke, Europa als schicke Umhängetasche für die Bobogeneration.

Frage: warum müssen Menschen mit einem Einkommen von 5000 Euro überhaupt entlastet werden? Wäre es jetzt radikal, zu behaupten, dass das noch lange ausreicht, um gut leben zu können, und dass das in Wirklichkeit auch nichts mehr mit Mittelstand zu tun hat, wenn jemand doppelt so viel verdient wie jemand mit Durchschnittseinkommen?

Ich sehe eine strahlende Zukunft vor mir, wo alles, was an den Universitäten schief läuft, damit gerechtfertigt werden wird, dass jetzt keine Studienbeiträge mehr zur Verfügung stehen. Der falsche Gedanke, egal ob Studienbeiträge berechtigt sind oder nicht, ob sie leistbar sind oder nicht, ob wegen der Studienbeiträge Kinder aus Nicht-Akademikerhaushalten weniger studieren oder nicht, ist, dass Universitäten grundsätzlich weniger Geld bekommen weil das Endprodukt weniger leicht verwertbar ist als das von Fachhochschulen. so dass man sich schon entschuldigen muss bei der Gesellschaft, überhaupt zu studieren.

Faymann, jetzt nach 2 Stunden ist schon fast die ganze Regierung da (oder schon wieder weg, wie die verschwundene Gesundheitsministerin Kdolsky), kann nicht mehr anders als "Siegessicher" bezeichent werden. Und sicher, dass er nach der Wahl nicht mehr mit Molterer und Bartenstein sprechen muss, sondern mit deren Nachfolgern. Aber: In Wirklichkeit fallen die 1-2% Unterschied zwischen SPÖ und ÖVP in die Unschärfe, und bei 1 Million unentschlossener Wähler ist jede Umfrage in Wirklichkeit reine Spekulation. Natürlich beeinflussen Umfragen das Wählerverhalten, sie schaffen damit ihre eigene Realität, aber ob es vernünftig ist, jetzt schon siegessicher zu sein ---

"Mag sein, dass die Senkung heute keine Mehrheit findet" - Cap ortet eine ÖVP-Verschwörung, wo Molterer in der EU gegen die Mehrwertsteuer lobbyiert hat, und Haider ist sowieso feig, weil er als "selbstbewusster EU-Kritiker" plötzlich dort um Erlaubnis fragt. Der Mann ist wütend.

"Ich bin euer Sektenführer, ich werde für euch euer Leben verbessern - das war die Aussage des Finanzministers heute". Gute emotionale Reden gehen schon unabhängig vom Inhalt weg wie warme Semmeln nach den sprechtechnischen car crashes mancher Abgeordneter. Aber es geht doch um den Inhalt, nicht vergessen.

Strache: "Ausgrenzungsfetischismus", "Firewall". Genau. Ich mag ein T-Shirt mit "Ausgrenzungsfetischistin".
"Heimatverachterin" bietet sich natürlich auch an.

Schüssel. Mag keine Fäkalausdrücke (die Zitate der GAJ waren) mehr. Die graue Eminenz. Irgendwann werde ich erzählen können, dass in meiner Jugend... ach lassen wir das. Schüssel träumt davon, in der EU alt zu werden. Aber dort hat ihn bis jetzt noch niemand genommen, deswegen muss er halt noch, der Arme. Molterer lässt sich mit interessiertem Gesichtsausdruck die Welt erklären. Das Selbstverständnis der ÖVP ist ja das der "Welterklärerpartei", die schon deswegen die Vernunft auf ihrer Seite hat, weil sie die Vernunft auf ihrer Seite hat (alles klar?). Die beschriebene böse amerikanische Mentalität klingt übrigens sehr nach der eines gewissen "he who must not be named" ehemaligen Finanzministers.
"Schreiben Sie sich das in Ihr Stammbuch, Herr Faymann". Ach, wie haben wir sie vermisst, die Präpotenz. Wie konnten wir nur ohne sie? Und Wollstreet ist ein viel schöneres Wort des Tages als "Faynachtsmann". Hoffentlich ist sein Französisch besser als sein Englisch!

Bures: "Männliches Balzgehabe". Das denke ich mir auch schon lange, aber es gibt auch Trainingsmittel, durch die man lernt, nicht beim lauter reden automatisch schriller zu werden. Aber dass bei Frauen lautere Zwischenrufe kommen...

Zwischenstand bei der Mehrwertsteuersenkung: Spannenderweise werden die Abkommen nicht heimlich im Hintergrund getroffen, sondern offen am Rednerpult. Das BZÖ wird zwei Anträge stellen: 10 steuerfreie Überstunden, Heizkostenzuschlag für Pensionisten, und vom Abstimmungsverhalten der SPÖ wird dann offensichtlich die Zustimmung des BZÖ abhängen. Inhaltlich haben sie also keine Probleme damit? Aber das FPÖ hat sich ja auch für die Zustimmung bezahlen lassen. Also: es bleibt spannend. Was das für die ÖVP bedeutet, wenn sie in diesem Punkt auch noch verliert, mag ich mir gar nicht ausdenken.

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