Gespenster

"Aber ich glaube fast, wir sind allesamt Gespenster, Pastor Manders. Es ist ja nicht nur, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in uns herumgeistert; auch alte, abgestorbene Meinungen aller Art, alte, abgestorbene Überzeugungen und ähnliches. Sie sind nicht lebendig in uns; aber sie sitzen doch in uns fest, und wir können sie nicht loswerden. Wenn ich nur eine Zeitung zur Hand nehme und darin lese, sehe ich solche Gespenster zwischen den Zeilen herumschleichen. Die scheinen im ganzen Land zu leben. Sie scheinen so zahllos zu sein wie Sandkörner. Und darum sind wir auch so gotterbärmlich lichtscheu, wir alle miteinander."

Henrik Ibsen: Gespenster, Seite 45 (1886)

Die letzten Wochen habe ich darüber nachgedacht, wie es zur österreichischen Sondersituation gekommen ist - ein Ausbruch aus dem gesamteuropäischem Parteiensystem, ein Partikularismus. Gleichzeitig natürlich denke ich, dank Sarah Vowells "The Wordy Shipmates" und dem Zufall diverser Vorlesungen zum Thema über den amerikanischen Exzeptionalismus (Partikularismus = nach. Wie kommt es zu einer kollektiven politischen Kultur? Gibt es so etwas wie eine "falsche" politische Kultur und wenn ja, wie kann man sie verbessern? Ist es nicht gerade jetzt total blödsinnig, über nationale politische Kulturen nachzudenken (oder eben gerade jetzt nicht?).

Aber ich bin davon überzeugt, dass es hier besonders viele solcher Gespenster gibt, und dass sie in den letzten zwei Wochen besonders deutlich herumgegeistert sind. Vielleicht wussten wir vorher noch gar nicht sicher, dass sie überhaupt da sind, und jetzt müssen wir uns mit der Gewissheit ihrer Existenz auseinandersetzen.