Saturday, 2 September 2006

Kante - Die Tiere sind unruhig

Nachdem nun Tocotronic, Tomte, Die Sterne und auch Blumfeld innerhalb von eineinhalb Jahren ihre neuen Alben veröffentlicht haben, werfen sich auch Kante in den Diskursring. Sie standen immer schon ein wenig im Schatten ihrer Kollegen, da sie sich dem direkten Diskurs durch verschlüsselte Texte und Konzentration auf Musik entzogen, ohne sich wie Blumfeld in die idyllische Wald-und Wiesenlandschaft der Lyrik zurückzuziehen. Phrasen zum Zitieren und auf Wändeschreiben findet man nicht, auch nicht wenn man danach sucht. Und doch entpuppt sich bereits der Titeltrack "Die Tiere sind unruhig" als beunruhigendes Gefühlspektrum. Es verweist auf die "gleich passiert was" Stimmung vor einem echten und einem metaphorischen Gewitter: Mich erinnert es an die Monate des Wartens, ehe der Irakkrieg ausbracht, eine Situation, in der man sich wiederfindet, wenn man die Verhandlungen mit dem Iran verfolgt. Natürlich würde man Kante nicht auf den Kopf zusagen, explizit situationsbezogen Politik zu kommentieren, aber die präzisen Beobachtungen und Emotionen, die in diesem Song stecken, beschreiben die Situation Vermutlicherweise besser, als es "Pure Vernunft Darf Niemals Siegen" von Tocotronic getan hat. Nach Kantemaßstäben ist es tatsächlich ein erstaunlich rockiges Album, wenn auch Menschen, die einmal "Die Summe der einzelnen Teile" vorgespielt bekommen haben und ganz toll fanden, noch immer sehr enttäuscht sein werden. Diese Hemmschwelle zu überwinden ist überhaupt die erste Hürde, die man bei Kante überspringen muss. Sich auf die Musik einlassen, einfach zuzuhören, aufmerksam bleiben.
"Ich Hab's Gesehen": Ich hab das Herz der Dunkelheit sich Öffnen sehen. Die wunderbar idyllische Naturlandschaft nach Blumfeld wird auf einmal zu einem Vorzeichen der Apokalypse, der Revolution, irgendeiner Art dramatischer Veränderung. Es ist für mich der beste Song des Albums, vielleicht der beste, den die Band jemals geschrieben hat. Wenn auch Sie davon überzeugt sind, dass Scout Niblett's "We're all Gonna Die / We're All Gonna Die. We don't know when, we don't know how" auf irgendeine Art und Weise in den letzten Jahren an beunruhigender Aktualität gewonnen hat, müssen Sie diesen Song lieben. Was von der Kritik weithin mit den Queens of the Stone Age verglichen wird, schließt dann auch wirklich an "Die Summe der einzelnen Teile" an: "Nichts Geht verloren" ist schlicht und einfach ein unprätentiöser Song über Sex, und keine andere deutsche Band kann von sich behaupten, so etwas jemals geschrieben zu haben. Höhepunkt mit Streicherorchester, das.
Wer solche Stücke schreiben kann, und trotzdem nicht die Selbstironie verliert, der sollte überhaupt und ohnehin von allen verehrt werden, ganz oben in der Hitparade landen, rauf und runter gespielt werden.
Auf "Die größte Party der Geschichte" hämmern die Beats. Verhandlung in der Hölle, zu spät wegen schlechter Wegbeschreibung. Sind Kante wirklich traurig, die Party verpasst zu haben, oder fühlen sie sich wohl in ihrer Rolle der geheimen musikalischen Erneuerer, denen in Wirklichkeit alle anderen hinterherhinken? Und dann der Rap des Türstehers.
Auf "Die Wahrheit" geht es um Verfremdung – Entfremdung von sich selbst. Wenn die eigenen Bücher und die Musik schmal schmeckt, und du dir selbst nur noch falsch vorkommst. Das ist einer der gemeinsten, direktesten Songs die ich jemals gehört habe. "Wenn die Person mit der Du lebst / Dich immer weniger versteht / und die Person mit der Du schläfst / Dich auf einmal nicht mehr erregt / wenn Deine Tränen nicht mehr kommen / weil Du Dich für Dich selber schämst / und selbst die Tränen fremd erscheinen"
Aber wenn Kante nicht auf der Party sind, wer will dann schon noch rein? Vielleicht ist es diese Relevanz, die Blumfeld mit "Verbotene Früchte" erreichen wollte, ihnen aber nur teilweise gelungen ist. "Die Tiere sind unruhig" funktioniert auf allen Ebenen, es ist dicht, ohne Aussetzer. Ein Meisterwerk für die Zukunft.

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