Erst vor ein paar Wochen las ich "Adler und Engel" und gleich darauf, weil ich nicht aufhören wollte, "Spieltrieb" von Juli Zeh. Die Sprachgewalt, die Art und Weise, wie sich die Sprache im Kopf verfängt und nicht mehr weggehen will, ist faszinierend. Vielleicht lese ich auch zu wenig deutsche Literatur und das ist ein Nebeneffekt dieser Vernachlässigung - trotzdem, einen Juli-Zeh-Satz erkennt man beim ersten Lesen. Etwa neun von zehn kunstvollen Metaphern gehen auch gut, was mehr ist, als sich so mancher Hamburger Diskurspoppr auf den Hut schreiben kann.
"Corpus Delicti" unterscheidet sich jedoch in seiner Materie von dem vorangegangenen Romanen. Die Perspektive ist ähnlich wie bei "Spieltrieb" - und wieder spielt eine Richterin namens Sophie eine entscheidende Rolle - aber hier handelt es sich um eine Dystopie (oder, aus manchen Gesichtspunkten, vielleicht eine Utopie, if you like that kind of thing). Die zukünftige Gesellschaft, vielleicht Europa, hat Krankheit abgeschafft. Das zu bezahlende Entgelt für die zusätzliche Sicherheit, oder in diesem Fall, absolute Schmerzfreiheit, ist absolute Kontrolle des Körpers. Täglich müssen Beweise über die gesunde Lebensführung abgeliefert werden, Zuwiderhandlung oder leichtfertiger Umgang mit der eigenen Gesundheit, wie etwa mangelnde Hygiene oder Konsum von Nikotin und Koffein, wird vor Gericht verhandelt und mit Strafen belegt. Die Gesellschaftsform heißt "die Methode". Das Argument: mehr Menschen sind glücklich als in jeder anderen Gesellschaftsform, ergo als geringstes Übel gerechtfertigt.
Mia Hoff, Schwester eines verurteilten Verbrechers, der bis zum Ende die Unschuld beteuerte, wird unfreiwillig zur Gallionsfigur des Widerstands, und konsequenterweise im Endeffekt zur endgültigen Stabilisierung. Sie will nur in Ruhe gelassen werden, doch genau dies erfordert in dieser absoluten Kontrollgesellschaft, die einerseits ständige Aktivität fordert, gleichzeitig aber Blindheit gegenüber den Konsequenzen, aktiven Protest, Manipulierung. Der Slacker wird sozusagen zum Stein im Getriebe.Viel faszinierender als der Zukunftsentwurf, der auf wackligen (wenn auch aus manchen aktuellen Debatten nachvollziehbaren) Beinen steht, sind die kleineren Ideen im Hintergrund. Die imaginäre Freundin, vom Bruder adoptiert, die mit absoluter Überzeugung sprechen kann, ist sie doch bl0ß ein Konstrukt - die alte Frage der Autorin, ob Hass nicht irgendwie zu nah an Liebe dran ist, um überhaupt noch von ihr zu unterscheiden zu sein - und von den Grenzen der Justiz, die immer in einem bestimmten System eingebettet ist und uns in der Ausformung in "Corpus Delicti" als perverser Dienstleister einer beängstigend nahen Ideologie erscheint.
Ein ungewohnt kurzer Roman, von dem doch einiges hängen bleibt - aber kein großes Meisterwerk, eher ein Zwischenstopp.
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