Tuesday, 19 May 2009

Wählen

Einleitung: Nach den Nationalratswahlen letztes Jahr, die ich detailliert kommentiert und verfolgt habe, ist mir die Luft ausgegangen, über Politik und Österreich zu schreiben. Da war der Befund, dass lediglich die gespaltene Rechte selbst verhindert hat, dass eine nicht mehr als rechts-populistisch, sondern im europäischen Konsens bereits als rechts-extrem zu bezeichendene Partei zumindest die zweitstärkste im Nationalrat werden konnte. Der Tod Haiders wenige Wochen später ließ die Vermutung aufkommen, dass sich die Stimmen bei der nächsten Wahl auf die FPÖ konzentrieren würden, wenn der BZÖ der Magnet fehlt (auch wenn der Wahlkampf um den "toten" Kandidaten in Kärnten sehr gut funktioniert hat).
In den kommenden Wochen und schließlich in der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl nächstes Jahr wird sich zeigen, ob die düstere Prognose hält. Gerade eben gewannen die FPÖ-nahen Freiheitlichen Arbeitnehmer bei der Arbeiterkammerwahl 3,9 % dazu, während der FSG massive Verlust hinnehmen musste. Ende Mai, unter Einfluss der leider zu spät und nicht öffentlichwirksam genug geführten Diskussion über den Pilotversuch e-voting, wird die ÖH gewählt, am 7. Juni das Europäische Parlament und damit in Österreich die 17 Abgeordneten. Beim Wahlkampf zahlt es sich aus, die Plakate der kandidierenden Parteien genau anzusehen: die ÖVP versteckt ihren Spitzenkandidaten Ernst Strasser hinter ernüchterenden Slogans à la "Sie werden sich in Zukunft warm anziehen müssen, aber wählen sie zumindest den schwarzen Kuschelpullover" - die damit offene Flanke (lieber als einen Pullover hätten wir eine helfende Hand) wird überraschend geschickt von BZÖ-Spitzenkandidat Stadler abgedeckt wird, auf dessen Plakat weder schreiende Farben noch hatscherte Reime zu finden sind - stattdessen das Volksanwalt-Image (including Magistertitel). Das Ganze wirkt so irritierend seriös, dass man beinahe vergessen könnte, welche sound bites der Kandidat in der Vergangenheit geliefert hat (wacky fun zum Thema, was passiert, wenn ein paranoider, sich von Freimauerern verfolgt sehender Mensch auch noch homophob und gleichzeitig deutschnational und katholisch-konservativ ist). Das der Wahlkampf der BZÖ damit zumindest ästhetisch eher bei potentiellen ÖVP- als SPÖ-Wählern fischt, erinnert an die Ursprünge der Partei, die sich als wirtschaftsliberaler Flügel gegen die ÖVP positionieren wollte und dann dort aber keine Wähler gefunden hat.
Den Grünen werden Verluste prognostiziert, der Kampf um die Spitzenposition zwischen Voggenhuber und Lunacek im Vorfeld hat da sicherlich nicht geholfen, und irgendwie glaube ich auch nicht, dass die Plakate da noch viele Wunden heilen werden - eine Partei, die wegen ihrer Inhalte gewählt wird und gerade zwei ihrer prominentsten Gesichter verloren hat, sollte unter Umständen versuchen, mehr Ideen statt Bilder zu kommunizieren, vor allem, wenn die Spitzenkandidatin noch nicht viel Zeit hatte, sich zu etablieren.

Wahlprogramm der Grünen

Wahlprogramm der SPÖ ("die 7 Punkte des A-Teams")
Wahlprogramm der ÖVP ("Wahlmanifest")
Wahlprogramm der FPÖ (oder zumindest die Website des Spitzenkandidaten Andreas Mölzer)
Wahlprogramm des BZÖ
Die KPÖ tritt "im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der EL [European Left]" an.
Das Flugblatt der Liste Martin von Hans Peter Martin, das irgendwie nach der "in a world.."-Stimme diverser Hollywoodtrailer verlangt.

Nach Hinweis hinzugefüht:

Wahlprogramm der JuLis (Junge Liberale)

Aber jetzt der Übergang, der ein wenig schwer fällt. Wie hängt die Grundstimmung vor all diesen Wahlen, in diesem sozialen, wirtschaftlichen und medialen Umfeld, mit den Ereignissen in Ebensee am 9. Mai zusammen?
"Vier junge Männer mit Sturmhauben, Soft Guns und Plastikgewehren, die am vergangenen Samstag die Gedenkfeier im ehemaligen Konzentrationslager Ebensee durch Hitlergruß und Sieg-Heil-Rufe gestört haben, sollen sogar eine französische Besuchergruppe mit Gummigeschoßen beschossen haben. Eine Anzeige liegt nicht vor – die Franzosen sollen derart betroffen über den Vorfall gewesen sein, dass sie sofort abreisten."

Die Presse: Schüsse und Hitlergruß im KZ Ebensee, 11. Mai 2009
Die Presse: Störaktion in Ebensee: "Weckruf muss gehört werden", 15. Mai 2009

Einer der Beschuldigten nennt sein eigenes Handeln in einem späteren Entschuldigungsbrief einen Jugendstreich. HC Strache nützt die Möglichkeit, ein bereits schon für sich verwendetes Argument wieder auszupacken: es seien lediglich ein paar Lausbuben gewesen. Es wäre passender, ihnen eine "ordentliche Tachtel" zu geben (ein Politiker ruft zu Gewalt gegen Jugendliche auf? Yay.) Innenministerin Fekter entschuldigt sich für ihre ursprüngliche Aussage, es wäre eine "gegenseitige Provokation" gewesen, mit der sie nicht die Gedenkveranstaltung an sich gemeint hat (eine Reflexhandlung, da rechtsradikale Gewalt sonst als Reaktion auf "linke" Gegenproteste dargestellt und damit irgendwie doch gerechtfertigt wird).
In vielen Leserkommentaren, vor allem in den oben verlinkten Presseartikeln, findet sich eine besorgniserregende Grundstimmung - die Jugendlichen sollten nicht gezwungen werden, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, und würden sich gegen eine ungerechtfertigte Indoktrinierung wehren. Der von den Grünen als bedroht gesehene "antifaschistische Grundkonsens", wenn er jemald bestanden hat und nicht nur eine leere Phrase war, ein bisschen schöne Farbe über einem darunterliegenden Abgrund, wurde schon längst von allen Seiten untergraben. Nicht nur von den Slogans der FPÖ (erst letzte Woche im Rahmen des EU-Wahlkampfs die Warnung vor einem "EU-Beitritt Israels"), sondern auch von den anderen Parteien, die sich nicht eindeutig davon abgrenzen und aus machttechnischen Gründen liebäugeln, den Dingen, mit denen etwa Wolf Martin mit seinem "in den Wind gereimt" in der Kronenzeitung durchkommt, ohne dass es die Krone jemals Leser kosten würde. Die wenige Tage nach den Vorfällen in Ebensee veröffentlichte, schlagzeilentechnisch genial getimte Studie über das Wahlverhalten der Jugendlichen ist dabei nur die Spitze des Eisbergs.
"Jugendliche können vor allem bei der ÖVP und der FPÖ Profile erkennen, die FPÖ besticht vor allem durch klare und einfache Forderungen und Lösungen. Jugendliche können zwischen Rechts und Links unterscheiden. Die Zuordnung fällt ihnen jedoch bei FPÖ, BZÖ und ÖVP leichter. "Gerade FPÖ und BZÖ werden explizit als rechte Parteien wahrgenommen und deswegen dann auch gewählt", heißt es in der Studie. Somit kann auch die These, Jugendliche hätten aus Protest rechts gewählt, angezweifelt werden."

DerStandard: Je jünger, desto eher wird rechts gewählt, 14. Mai 2009
Die SORA-Studie "Jugend und Politik"

Das liest sich schockierend, ist aber im Prinzip genau das gleiche, was sich bei älteren Wählern abspielt, ohne die traditionelle Bindung an Parteien und im Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Situation, in der erstens ein vollkommen überaltetes, reformresistentes und von den ideologischen Vorstellungen der Parteien zerrissenes Bildungssystem sich eigentlich nur noch auf die Aufgabe konzentriert, seine "Kunden" für einen immer komplizierter werdenden Arbeitsmarkt vorzubereiten, und die dadurch wegfallenden sozialen und gesellschaftlichen Aufgaben der Schule gleichzeitig von niemand anderem erfüllt werden können, vor allem nicht von den sowieso überforderten Eltern. Ein paar Tage später fordert der Bildungssprecher der ÖVP, dass 10jährige einen umfassenden Aufnahmetest für die AHS machen sollen, als ob das irgendwelche Probleme lösen würde, als ob die Interessen eines 10jährigen Kindes irgendeinen Aufschluss darüber geben würden, ob es später Tischler oder Arzt werden sollte (also ich wollte mit 10 Detiktivin werden...).

Ich habe mich in den letzten Monaten davor gedrückt, über österreichische Politik zu schreiben, weil ich ein Licht am Ende des Tunnels brauche, das eindeutig gefehlt hat. Aber das ist natürlich ganz falsch, und auch nur Teil des Problems. Weil das da draußen irgendwie eine wirklich schöne Stadt ist, und ich das Gefühl satt habe, woanders hingehen zu müssen, wo es besser ist.

2 comments:

c3o said...

Nicht dass sie realistische Chancen hätten, aber wenn du die KPÖ aufzählst fehlen noch die JuLis: http://euphorisch.at/page/Europaprogramm

flame gun for the cute ones said...

Ja, danke vielmals für den Hinweis. Es geht natürlich um Vollständigkeit, nicht um Wahlaussichten!