Monday, 8 June 2009

"Man kann auch Katastrophe sagen"

Ein aus dem Kontext genommenes Zitat eines beschwichtigenden Faymanns im Ö1-Mittagsjournal, der meint, die kritische, aber EU-nicht-ablehnende ("ein soziales, brügernahes Europa") müsste konsequent weiterverfolgt werden. Das Wahlergebnis der SPÖ (23,8 %, ein Minus von 9,5 %) liegt aber eigentlich nicht weit außerhalb des Gesamteuropäischen Abschneidens der Sozialdemokraten. Die britische Labour-Partei als Vorbild heranzuziehen, bietet sich nicht unbedingt an, dort wurde wohl nicht über das EU-Parlament, sondern die Zukunft Gordon Browns entschieden (Labour liegt bei 15,4 %, ein Minus von 6,9 %, und ist damit hinter der Anti-EU-Partei UKIP nur noch an dritter Stelle). Ähnlich die Situation in Ungarn, das noch unter den Nachwirkungen des Skandals rund um den zurückgetretenen Ministerpräsident Ferenc Gyurscany leidet. Dessen sozialdemokratische und seit sechs Jahren regierende Partei MSZP sank auf 17,4 %, die konservative Partei Fidesz liegt bei 56 % und damit hinter den erwartenden. Die rechtsextreme Partei Jobbik, deren paramilitärischer Flügel Magyar Gárda die Romaviertel unsicher macht, erreichten aus dem Stand fast 15 %.

In Deutschland ist die Situation ähnlich, die große Koalition wird von der konservativen Partei geführt, aber die SPD liegt bei 20,8 % und damit satte 17,1 % hinter CDU/CSU. Nach bisherigen Schätzungen haben die Europäischen Sozialdemokraten gegenüber der letzten Wahl vor fünf Jahren etwa 60 Sitze verloren, allerdings dürften auch die Konservativen Sitze verlieren, zu Gunsten der Grünen und Liberalen. Ulrich Schulte konstatierte in der taz, dass ausgerechnet jene Parteien gewonnen haben, die für einen neoliberalen Kurs stehen - von denen man also vermutet hätte, dass sie nach der Wirtschaftskrise angeschlagen wären.

Ich hatte mich vor den Wahlen nicht getraut, ein Ergebnis zu prognostizieren - bei einer Wahlbeteiligung 42,4 % wäre das wie Kaffeesudlesen. Allerdings ist das sehr schlechte Abschneiden des BZÖ, das offenbar keine Stimmen von der ÖVP abziehen konnte, überraschend (Stadler hat den Einzug wohl knapp verpasst). Gegen den europäischen Trend, aber auf Grund der Auseinandersetzungen um den ersten Listenplatz erwartet, verloren die Grünen fast ein Drittel ihrer Wähler und liegt derzeit bei 9,5 % - das zweite Mandat könnte sich noch nach Auszählung der Briefwahlstimmen ausgehen. Voggenhuber spricht im Standard-Interview von einem Disaster.
"Die Causa Voggenhuber hat schon eine entscheidende Rolle gespielt. Da wurde ein Baum unmittelbar vor der Ernte gefällt, nicht aus politischen Gründen, sondern aus der Machtversessenheit einer kleinen Gruppe heraus. Die Führung der Grünen gebärdet sich als Hofstaat, der Eifersucht, Neid, Missgunst über die Verantwortung gestellt hat, mit einem Mobbing gegen mich über Monate. Wir sind nun wieder so stark wie 1999. Die Parteispitze hat mit einem Schlag die Arbeit von zehn Jahren vernichtet."
Ein Wechsel an der Spitze ist immer ein prekärer Moment in der Parteigeschichte, vor allem, wenn der Auslöser nicht eine Niederlage oder eine innerparteiliche Krise ist, sondern einfach der Umstand, dass ohne diesen Wechsel niemals die zweite Reihe nach vorne kommen könnte. Innerhalb dieses prekären Augenblicks den Eindruck innerer Zerstrittenheit zu präsentieren, und dann den Rest der wertvollen Zeit darauf verwenden zu müssen, eine Persönlichkeit zu etablieren, statt auf Inhalte fokussieren zu können, ist vor allem kurz vor Wahlen keine besonders gute Idee.
Warum ausgerechnet die ÖVP unter Spitzenkandidat Strasser ihre Wähler so gut mobilisieren konnte (wobei sie, trotz der Siegesfeierei, trotzdem 3 % verloren hat), deutet wohl darauf hin, dass Hans Peter Martin (der beweist, dass die Wahl zum Europaparlament eben nicht das gleiche wie eine Nationalratswahl ist) hauptsächlich potentielle SPÖ-Wähler angesprochen hat. Aus dem Ergebnis der FPÖ, das mit 13,1 % hinter den Erwartungen liegt, irgendwelche Vermutungen über zukünftige Wahlen zu formulieren, ist Quatsch: bei der Wahlbeteiligung, und dem fundierten Verdacht, dass viele potentielle Wähler der FPÖ einfach nicht zur Wahl gegangen sind, ist das keinesweges ein Signal, dass der Rechtsruck damit zu Ende ist. Angesichts des katastrophalen SPÖ-Ergebnisses muss man sich wegen der Wiener Landtagswahlen nächstes Jahr noch mehr Sorgen machen als zuvor.

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