Thursday 15 May 2008

Fragmented Biographies – Sketches

I’m Not There und Last Days - Linien der Legendenbildung

Der Trend, verstorbene und lebende Musiker mit filmgewaltigen Biopics wieder zurück ins Rampenlicht zu schleppen, hat sich in den letzten Jahren als äußerst lukrativ für die Filmindustrie erwiesen. Da gibt es verschiedene Herangehensweisen: die Erfolgreichen folgen dem gleichen Muster. In Ray und Walk the Line geht es um die Leidensgeschichte von Sündenfall, Reue und finaler Erlösung, all das chronologisch erzählt. Durch die Angabe einfacher Gründe wird das Handeln der Protagonisten verständlich, und durch das Zusammenwerfen verschiedener Zutaten entsteht am Ende ein fertiger Held, der moralisch geläutert auf der Bühne erst zu einem ganzen Menschen wird. Was bei diesen Filmen, die ohne Frage gut besetzt und eigentlich auch sehr hochqualitativ gemacht sind, verloren geht, ist die Einsicht, dass Menschen und vor allem Künstler deswegen so gut sind, weil sie nicht einfach zu erklären sind, weil es nicht reicht, die Kernszenen des Lebens nachzuerzählen, um zu verstehen, warum am Ende dann genau diese Songs, diese Inbrunst, diese Besessenheit entstanden ist, die mitreißt. Deswegen sind die experimentelleren und weitaus weniger absoluten Versuche viel interessanter und kommen, wenn auch mehr durch ein zufälliges heranrobben statt einer gänzlichen Überwältigung, viel näher an ihre Objekte heran. Die beiden Beispiele für dieses Vorgehen sind I’m Not There von Todd Haynes und Last Days von Gus Van Sant, die beide auf verschiedene Art ihre Hauptcharaktere darstellen.

Natürlich steht am Anfang dieser Untersuchung die Erkenntis, dass diese beiden Filme deswegen schon grundverschieden sein müssen, weil es ihre jeweiligen Vorbilder – Bob Dylan und Kurt Cobain – sind.
Im Falle von Cobain dauert die Legendenbildung inzwischen schon länger als die eigentliche Wirkzeit von Nirvana. Er ist mehr ein Bild, und Teile seiner Kleidung, seiner Legende, bleiben wie Treibgut der Geschichte immer wieder in den Netzen neuer Generationen hängen, die nach authentischeren Vorbildern suchen, als denen, die ihnen die Jetztzeit zu bieten hat. Die Sonnenbrille, die Frisur, der schwarzrot gestreifte Pullover – an diesen Dingen ließe sich Cobain sofort identifizieren, er ist mit ihnen mehr verbunden als mit den wenigen Songs, die es doch immer wieder in den Kanon schaffen (hauptsächlich Smells Like Teen Spirit und Come As You Are, obwohl doch die anderen Alben viel spannender waren aus ausgerechnet das mit dem Baby am Cover.) Da wird dann eben mindestens einmal pro Jahr dieses MTV-Unplugged-Konzert wiederholt, obwohl es nicht wiedergibt, was Nirvana für diese Zeit tatsächlich bedeutet haben. Die Geschichte wird immer von hinten beleuchtet: Am Anfang steht der Selbstmord. Ein Film über Cobain kann sich also nicht an den bekannten Stationen entlang handeln und entweder eine Geschichte der Läuterung oder des schrittweisen Niedergangs erzählen, das müsste abgehalftert wirken, das wäre eine Geschichte, die alle schon einmal gehört haben, ohne daraus wirklich erkennen zu können, was es bedeutet hat. Gerade weil darüber so viele Bilder vorhanden sind, die sich verfangen haben, ist es schwierig, eine Geschichte zu erzählen, die wirklich noch interessant ist und versucht, eine neue Perspektive zu geben.

Anders Bob Dylan: Dessen Geschichte beginnt irgendwann in den Fünfzigern, oder besser, sie beginnt bei Arthur Rimbaud oder Woody Guthrie, oder am Anfang der Vereinigten Staaten, oder am Beginn der Arbeiterunterdrückung, oder am Beginn der Religionen, oder am Beginn der Menschheit. In den fünfzig Jahren hat sich so viel Stoff angesammelt, dass es unmöglich wäre, die Geschichte eines einzigen Mannes zu erzählen, der über Stationen zu dem geworden ist, was er heute ist, da niemand genau weiß, wer Dylan heute ist, oder jemals war, und Stationen waren es auch nicht, sondern eher radikale Brüche. Der junge Dylan, der schwärmend von seinem Idol Guthrie erzählt, ist meilenweit von dem geläuterten Christen entfernt. Für Todd Haynes hätte es keinen Sinn gemacht, diese Geschichte so zu erzählen, als wäre das Leben Dylans ein Entwicklungsroman. Deswegen die sieben verschiedenen Schauspieler, die ohne viel Mühe mit bestimmten Abschnitten in Dylans Karriere verbunden werden können, während der Film selbst immer wieder deutlich macht, dass hier nicht ein Mensch greifbar und verständlich gemacht werden soll, dafür ist das alles zu schemenhaft: Am Ende der Abschnitte sterben die Männer, deren Name niemals Bob Dylan ist, und übergangslos und auch bildlich anders beginnt ein neuer. Die einzelnen Personen werden von verschiedenen Schauspielern gespielt, sie tragen unterschiedliche Namen, die Farbgebung ist anders - sie sind nicht miteinander verknüpft.
Der Junge, der sich selbst Woody Guthrie nennt und mit einer Gitarre reist, auf der "This Machine Kills Fascists" steht, ist nicht Richard Geres Billy the Kid, in der kompliziertesten und verfälschtesten Episode.
Dazwischen Cate Blanchett als der Dylan, den man am besten zu kennen meint, der sich widersinnig weigert, die unsinnigen Fragen der Journalisten zu beantworten. Dieser Abschnitt ist entlang von Scorseses No Direction Home inszeniert. Das ist der Dylan, der erstmals zur elektrischen Gitarre greift und dafür von seinen Folk-Fans als "Traitor" beschimpft wird. Der Dylan, der lange vor '68 aufgehört hat, an Demonstrationen teilzunehmen.
Heath Ledgers Dylan - ein Schauspieler, der reist und seine Frau Charlotte Gainsbourg betrügt, der sich selbst verloren hat, ist vielleicht der unzugänglichste, weil die Geschichte hier am ehesten einer konventionellen Biographie ähnelt. Haynes hält sich an die Frau, die wartend mit den Kindern zu Hause sitzt, während im Fernsehen der Vietnamkrieg abläuft und ihr Mann schlechte Filme dreht.
Van Sants Cobain stolpert durch den Wald. Er spricht nicht - er schreit und murmelt. Der und Freunde sitzen in einem verfallenen Anwesen, hören Musik, machen Musik, nehmen Drogen, und am Ende steht der Selbstmord. Natürlich kein Nirvana-Song, aber dezente Verortungen (Velvet Underground und Kim Gordon, die auch in I'm Not There auftritt). Greifbar ist Michael Pitts Wesen bestimmt nicht. Es gibt keine Geschichte. Das ist die einzig mögliche Erzählung über ienen Musiker, dessen Tod mehr Spuren hinterlassen hat als das Werk. Die Musik wird ja, wahrscheinlich mehr als von anderen Künstlern, nutzbar gemacht für individuelle Probleme. Die meisten Menschen, die 1994 schon popkulturell wach waren, haben eine Geschichte darüber, was sie an diesem Tag getan haben, wie bei Badly Drawn Boy in You Were Right:
"I remember doing nothing on the night Sinatra died
And the night Jeff Buckley died
And the night Kurt Cobain died
And the night John Lennon died
I remember I stayed up to watch the news with everyone
And that was a lot of nights
And that was a lot of lives
Who lost the tickets to what they need"
Wie kann man einen Film über einen Mann drehen, bei dem es hauptsächlich darum geht, wie er das eigene Leben beeinflusst hat, wie seine Musik verwandelt wurde, egal ob ökonomisch oder privat? Indem man den konventionellen Weg vermeidet und nicht das nacherzählt, was sowieso schon alle gehört haben. Sowohl I'm Not There als auch Last Days haben die schwierige Aufgabe auf sich genommen, komplizierte und kanonisierte Geschichten auf eine Art und Weise zu erzählen, die nicht den Regeln einer Ursache-Wirkung-Vereinfachung menschlichen Lebens folgt. Am Ende steht nicht die Bekehrung, am Ende gibt es nicht einmal mehr die Befreiung durch die Musik.

Last Days (2005), Regie: Gus Van Sant, mit Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, Scott Patrick Green, Nicole Vicius, Kim Gordon
Als DVD erhältlich

I'm Not There (2007), Regie: Todd Haynes, mit Cate Blanchett, Christian Bale, Marcus Carl Franklin, Richard Gere, Heath Ledger, Michelle Williams, Charlotte Gainsbourg, Kim Gordon
Ab 25. August 2008 als DVD erhältlich

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