Tuesday 21 October 2008

The Dark Knight

Was Christopher Nolan mit der zweiten Neuinterpretation des Batman-Mythos schafft, die der Frank-Miller-Idee des dunklen Rächers folgt, ist eine endgültige Verwischung der Linie zwischen Gut und Böse. Oder, aus einer anderen Perspektive betrachtet, eine Verfestigung genau dieser Linie. "The Dark Knight" ist so komplex und düster wie die Nachrichten. Wenn sich der Zuseher darüber sicher ist, die endgültige Aussage erkannt zu haben, widerlegt die nächste Szene sie wieder. Die Versuche, zu verstehen, was jetzt mit welchem Ereignis in der Weltpolitik korrespondiert und welche Auswege aus der Katastrophe, die ausprobiert werden, die richtigen sind, misslingen. "The Dark Knight" ist der erfolgreichste Film aller Zeiten - und gleichzeitig ein episches Werk, das nichts übrig lässt, an dem man sich festhalten kann.

Eine Grundlage für die verwirrende Vielfalt an Aussagen sind die zwei miteinander im Konflikt stehenden Grundannahmen: die erste könnte vielleicht mit dem Brecht-Zitat "reich ein Land welches Helden hat, arm aber das Land welches Helden braucht" zusammengefasst werden. Das moralisch verfallende, von Korruption zerfressene Gotham City ist natürlich ein Land für sich selbst, die Institituionen, die gezeigt werden (Justiz, Polizei, Politik) sind schon längst unterwandert (spannend die Aussage, die Korruption innerhalb des Polizeiapparats wäre vor allem deswegen möglich, weil einzelne Polizisten sich die Arztrechnungen für ihre geliebten Angehörigen nicht mehr leisten können...). Arm das Land, das Helden braucht - was Bruce Wayne, der düstere Held, unter Tags nicht umsonst mit ebenjenem Gesicht versehen, das schon von Bret Easton Ellis' Patrick Bateman getragen wurde - sich mehr als alles andere wünscht, ist eine Stadt, die ihn nicht mehr braucht. Am Ende des letzten Filmes versprach seine große Liebe ihm, zu ihm zurückzukommen, wenn die Stadt Batman nicht mehr braucht (Rachel , im vorherigen Film noch von Katie Holmes gespielt, wird jetzt von Maggie Gyllenhaal dargestellt). Und er weiß, dass die Welt erst dann wieder gut werden kann, wenn die Institutionen des Rechtsstaats, der Demokratie, ihre Fähigkeit wiedererlangen, gegen Kriminalität zu kämpfen, er weiß, dass der Held eine Zwischenlösung in der Katastrophe ist, im Prinzip ein Symptom einer verfallenden Gesellschaft. Die zweite, fragwürdigere Aussage des Films: Batman hat immer Recht. Er macht Fehler, aber er ist nicht korrumpierbar.
Harvey Dent (Aaron Eckhart) wird als Lichtgestalt, als Hoffnungsträger für die Zukunft eingeführt. Er arbeitet innerhalb des Systems. Als neugewählter District Attorney Gothams geht er gegen die Mafia vor, bekämpft die Korruption in der Polizei. Er ist Idealist, der keine Kompromisse eingeht, um das Verbrechen zu bekämpfen, der weiß, dass jeder Kompromiss die Korruption unterstützt.
Das Problem dabei: die Institutionen reichen nicht aus. Die Jurisdiktion des District Attorneys enden mit der Stadtgrenze, aber das Verbrechen agiert schon längst transnational, ist an keine staatlichen Grenzen gebunden. Hier zeigt "The Dark Knight" geschickt die große Krise des Staates im 21. Jahrhundert auf: Um seine Ziele erreichen zu können, muss Dent auf Batman zurückgreifen, muss seine Dienste in Anspruch nehmen. Aber damit wird er so effektiv, dass er eine Allianz zwischen den ursprünglich verfeindeten Verbrecherorganisationen der Stadt herausfordert - denen vom Joker, abgründig genial gespielt von Heath Ledger, ein Vorschlag unterbreitet wurde: für die Hälfte ihres Geldes tötet er die Fledermaus.
Der Joker ist ein gänzlich neuer Gegner für Batman. In einigen Szenen wird vielleicht sogar angedeutet, dass die beiden die zwei Seiten der gleichen Münze sein könnten, beide Symptome einer Stadt, in der nichts mehr funktioniert, wie es soll. Während Bruce Waynes Batman eine geheime Identität ist, scheint es den Joker als Menschen davor überhaupt nicht gegeben zu haben: er erzählt immer wieder Geschichten davon, wie er die schweren Wunden im Gesicht bekommen hat, die konventionellen Interpretationen von psychischen Störungen als Begründung für Gewalt entsprechen, aber im Endeffekt sind das alles nur Lügen. Der Joker hat keine Hintergrundgeschichte, keine schwere Jugend, keine tote Frau: Er ist pures Chaos. Ein Gegner, der keine konventionellen Motive hat, ist schwerer zu bekämpfen. Er will kein Geld. Der Joker zeigt mit jeder seiner Aktionen, wie verwundbar diese Gesellschaft ist, und dass sie so brüchig ist, weil die einzelnen Individuen, die sie ausmacht, schwach und korrumpierbar sind. In einem "Der Besuch der alten Dame"-Szenario (stellenweise wirkt es wirklich so, als würde Nolans Drehbuch von Pflichtlektüre des Deutschunterrichts beeinflusst worden sein) stellt er die Stadtbevölkerung vor die Wahl, entweder einen einzelnen, unschuldigen Menschen zu töten, oder die Explosion eines Krankenhauses in Kauf zu nehmen. In einer noch perfideren Versuchsanordnung gibt er der Besatzung zweier Fähren, eine gefüllt mit Verbrechern, die andere mit honorigen Anzugsträgern, eine Fernbedienung in die Hand: Wenn auch nur eine Person auf einem der beiden Schiffe den Knopf drückt, fliegt das andere in die Luft. Wenn keiner diese Entscheidung trifft, werden früher oder später beide explodieren. Alfred, Bruce Waynes treuer Diener, sagt über den Joker: "Some men just wanna see the world burn". In "V for Vendetta" sollte durch Anarchie und Chaos eine neue, bessere Ordnung entstehen: hier sind sie Selbstzweck, eine spannende Versuchsanordnung zum Thema, wie weit es mit der menschlichen Zivilisation wirklich ist und ob sie nicht nur eine dünne Haut ist, die jederzeit zerreissen kann, wenn es eng wird.
In einer Diskussion zwischen Dent, Bruce Wayne, Rachel, die jetzt Dents Verlobte ist, und einer Primaballerina, die die Seite des Milliardärs schmückt, wird die theoretische Grundlage für den Film gelegt. Um die römische Republik zu retten, wurde die Demokratie aufgegeben, aber Cäsar war danach nicht mehr bereit, die viele Macht abzugeben. Aber die Frage, die der Film aufwirft, sit die folgende: ist Gotham nicht schon längst über den Punkt hinausgeschossen, an dem die Demokratie überhaupt noch zu retten ist?

Die zweite Hälfte des Filmes handelt vom Fall Dents. Er hat seine Ideale verfolgt und genau wie Batman dabei kompromisslos gehandelt, so sehr, dass er nun mit den Geistern, die er gerufen hat, nicht umgehen kann. Sein Leben wird zerstört, ihm wird alles genommen, was ihm etwas bedeutet, und im Gegensatz zu Batman, der - weil absurderweise ein Blick in das Innere des Rächers einfach nicht möglich ist - auch nach Rachels Tod noch bleibt, was er vorher schon war, ein Symbol, gibt es für Harvey kein Leben mehr, nachdem seine Ideale gestorben sind. Der als bessere Alternative, als Hoffnung der Stadt präsentierte Dent, stirbt, und was zurückbleibt, ist ein neuer villain: Two Face. In einer Welt, die nicht fair ist, ist die einzig gerechte Moral der Zufall.
Batman greift zu allen Mitteln, um den Joker zu erwischen. Es stellt sich heraus, dass der Terrorist, der Chaos anrichten will, genau dann gewinnt, wenn die, die ihn bekämpfen, zu unlauteren Mitteln wie Folter oder Überwachung greifen. Die Technologie, die in Batman-Filmen immer schon eine große Rolle gespielt hat, wird hier zur direkten Verbindung zur realen Welt. Bruce Wayne stehen ein grenzenloses Budget und das Wissen des Militärs zur Verfügung, in der Figur von Lucius Fox (Morgan Freeman) läuft beides zusammen. Er errichtet ein Überwachungssystem, das jeden Bürger Gothams rund um die Uhr beobachtet: Fox Reaktion darauf ist mustergültig. Er meint, dies sei zu viel Macht für eine Person. Und tatsächlich, am Ende des Filmes, als das Ziel erreicht ist, wird die Maschine abgeschaltet.
Am Ende des Filmes sind die ersten großen Villains scheinbar besiegt, aber die Stadt hat beide Helden verloren. Der eine muss fliehen, damit sie an den anderen glauben kann. Am Ende kann Batman überhaupt kein Held mehr sein - von Hunden wird er aus der Stadt gejagt. Arm das Land, das Helden braucht - und keine hat.

2008. Regie: Christopher Nolan, Drehbuch: Jonathan & Christopher Nolan, mit Christian Bale, Heath Ledger, Aaron Eckhart, Maggie Gyllenhaal, Michael Caine, Morgan Freeman, Gary Oldman, Monique Curnen, Cillian Murphy, Eric Roberts, Anthony Michael Hall. Ab 22. Dezember als DVD erhältlich

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