Wednesday 12 November 2008

William Gibson - Spook Country

Was William Gibson sowohl in der Bridge- als auch in der Neuromancer-Trilogie so eindrucksvoll getan hat, ist über die Zukunft schreiben, als wäre sie schon längst hier. Der Leser wird in eine fertige Welt geworfen und muss sich darin zurechtfinden - die Technologien, welche die Realität verändert und geformt haben, werden nicht erklärt, sondern erlebt. Die beschriebene Gesellschaft wurde transformiert, die Charaktere sind in ihr großgeworden und kommen mit ihr mehr oder weniger gut zurecht.
Seit "Pattern Recognition" schreibt Gibson nicht mehr über die Zukunft, sondern unter Umständen über genau diese kleinen Samen der größeren Veränderung, die jetzt erst offensichtlich werden, die in Subkulturen oder im Untergrund langsam wachsen. In "Spook Country" ist Technologie genau da am innovativsten, wo sie auf Kunst oder Verbrechen trifft - Künstler und Spione, Diebe, sind die flexible Klasse, kreativ neues erfindet und altes einsetzt. Darin ist Gibson unglaublich gut: Technologien beschreiben, wie sie eingesetzt werden, ohne dass daraus eine trockene Gebrauchsanweisung oder ein Lexikoneintrag wird. In "Spook Country" geht es um locative art: Virtuelle Kunst, die vom Betrachter durch eine Brille gesehen werden kann. Hollis Henry, ehemalige Sängerin einer Band, arbeitet jetzt als Journalistin für ein ominöses Magazin namens "Node" ("like a Belgian Wired or something"). Ihr erstes Aufeinandertreffen mit locative art: sie sieht vor dem Viper Club in Los Angeles einen toten Schauspieler - ein morbider popkultureller Schrein. River Phoenix, 1993.
An diesen Stellen funktioniert "Spook Country" fantastisch. Es erfasst, wie Popkultur und eine Gesellschaft ohne Zusammenhalt zusammentreffen und eine innovative neue Klasse längst schon die traditionellen Strukturen der Politik unterläuft. Leider, und das trifft in geringerem Ausmaß auch auf den Vorgänger "Pattern Recognition" zu, fehlt der Zusammenhang. Die Bridge-Trilogie erzählte ebenfalls verschiedene Geschichten und machte es schwierig, den Zusammenhang zu sehen: aber bei "Spook Country" erscheint alles zu beliebig, zu sehr zusammengewürfelt, als wäre das besser eine Kurzgeschichtensammlung als ein ganzer Roman. Sind Gibson und Coupland von der Realität eingeholt worden?

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